Die Unendlichkeit der Welt: Ausdehnung, Einzeldinge, Mächtigkeit

Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse, die in dem folgenden Artikel veröffentlicht wurden: Mühlenbeck, Cordelia (2018). Gabriels Sinnfeldontologie: Konsequenzen für Raum und Zeit und die Perspektiven der Mathematik. In: Georges Goedert und Martina Scherbel (Hrsg.). Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch, 44, S. 220-241. Um den Artikel zu zitieren, nutzen Sie bitte diese Referenz.

Die Notwendigeit unterschiedlicher Seinsbezüge

In verschiedenen zeitgenössischen, realistischen, Strömungen der Philosophie, wir die Welt als Fraktal erkannt. In Markus Gabriels Sinnfeldontologie bspw., die er in  Warum es die Welt nicht gibt (Gabriel, 2013) und Sinn und Existenz: eine realistische Ontologie (Gabriel, 2016) beschreibt, wird dieses Fraktal als nach außen hin fortlaufend beschrieben, ohne eine Ursubstanz oder ein Ursystem, aus dem alles bestehen kann. Dies wird darauf zurückgeführt, dass jede Substanz, jedes Seiende, jede einheitlich zusammengefasste Ganzheit eines bestimmenden Hintergrundes bedarf (in Gabries Schreibweise eines Sinnfeldes, in dem es vorkommt), damit es überhaupt existieren kann.

„Den unendlichen Aufschub der Welt kann man sich als eine Form der fraktalen Ontologie vorstellen. Fraktale sind geometrische Gebilde, die aus unendlich vielen Kopien ihrer selbst bestehen. […] Die Welt ist sozusagen unendlich häufig in sich selbst hineinkopiert, sie besteht aus lauter kleinen Welten, die wiederum aus lauter kleinen Welten bestehen. Wir erkennen deswegen immer nur Ausschnitte des Unendlichen.“ (Gabriel, 2013, S. 108)

Heidegger beschrieb dies als die Notwendigkeit des Seins jedes Seienden (Heidegger, 1967). Aus dieser Notwendigkeit folgt dann die Unendlichkeit der Welt. In diesem Artikel wird die Mächtigkeit dieser Unendlichkeit betrachtet. Ähnlich zu Markus Gabriels Sinnfeldontologie zeigen sich die Ergebnisse im Spekulativen Realismus Quentin Meillassoux‘ (Meillassoux, 2010) oder in Alain Badious Sein und das Ereignis (Badiou, 2005). Da jede ‚letzte‘ Substanz selbst einen definierenden Hintergrund besitzen müsste, kann sie nicht die letzte alles definierende Substanz bilden. Das heißt, auch Vereinheitlichungen wie: alles ist Materie, alles ist Energie oder alles besteht aus Strings, können keine letzte fundamentale Bestimmung der Welt darstellen. Jeder Hintergrund kann selbst Gegenstand sein, der sich vor einem weiteren Hintergrund hervorheben muss, um zu existieren. Dies sind die Bezüge des Seins, wie Heidegger sie beschrieb. Die Beschaffenheit des Seins ist dabei aber selbst nicht vollends bestimmt, da sich beliebige Bezüge in Raum, Zeit und Kontingenz ergeben. Das heißt, das Sein selbst ist kein Seiendes. Die Bezüge, die im Sein hergestellt werden, sind immer Bezüge zu anderem Seienden im Sein. Bei Gabriel heißt dies, dass Existenz keine Eigenschaft ist, die einem Gegenstand eigen ist, sondern vielmehr eine Eigenschaft, die wir immer a priori annehmen müssen, um einen Gegenstand überhaupt betrachten zu können.

Diese Notwendigkeit des definierenden Hintergrunds ist aber auch ein Ergebnis der Mathematik, d.h. der Mengenlehre. Nehmen wir an, es gäbe eine Menge, die alles enthalten soll. „Alles“ wird dabei zu allen Elementen der Menge. Dann ist die Menge selbst aber ebenfalls ein Element, welches aber wiederum von der Menge nicht beinhaltet wird. Daher kann die Menge nicht alles enthalten, da sie sich selbst nicht enthält. Analog wird dieses Argument als Unmöglichkeit einer geschlossenen Welt beschrieben, weil sie durch ihre Abgeschlossenheit einen Hintergrund benötigte, vor dem sie abgeschlossen sein könnte. Dieses Ergebnis ist bekannt als die Tatsache, dass jede Potenzmenge einer Menge (d.h. die Menge der Teilmengen einer Menge) mächtiger ist als die Menge selbst. Da die Mathematik diejenige Disziplin ist, welche im Laufe ihrer Geschichte das Unendliche immer tiefer gehend strukturiert hat, nutzen wir sie, um die Unendlichkeit der Welt (oder die unendlich vielen Welten) richtig beschreiben zu können.

Unendlichkeit in extensio – außen und innen, Kontingenz und Zeit

Betrachten wir zunächst die Unendlichkeit im Raum und damit die Ausdehnung von Gegenständen im Raum. Wenn wir Gegenstände in ihren Bezügen zu ihren Hintergründen bestimmen, laufen wir Gefahr, uns diese Hintergründe als räumlich vorzustellen und es dabei zu belassen. So wird ein Gegenstand in der Wahrnehmung zunächst nur vom räumlichen Hintergrund abgegrenzt, um ihn von ihm zu unterscheiden (Figur-Grund-Trennung) und ihn so als diesen Gegenstand zu erkennen. Jegliche Gegenstände (auch vorgestellte) haben selbst aber auch eine Ausdehnung im Raum, d.h. es werden in der Wahrnehmung (und auch in der Vorstellung) Bereiche voneinander abgegrenzt. Aus der Notwendigkeit des Seins jedes Seienden, d.h. aus der Abgrenzung der Bereiche voneinander, folgt, dass diese Bereiche (das definierende Sein) nicht nur nach außen hin abgegrenzt werden, sondern in alle möglichen Richtungen (außen und innen), in der Zeit und in Abgrenzung zu unterschiedlichen Möglichkeiten (Kontingenz). Denn die geforderte Pluralität an Systemen und Substanzen suggeriert zunächst, dass sie alle nebeneinander existieren, Felder bestimmen Felder. Sein bestimmt aber nicht nur räumlich. Alle möglichen Bereiche geben einen Hintergrund, vor dem wir unsere erkannte Figur hervorheben können, und die immer jeweils eigene Eigenschaften definieren. Würde wir die Bereiche der Zeit, der Kontingenz oder der extensio des Gegenstands (d.h. des Inneren) ausschließen, würden wir wieder Grenzen ziehen – wie bei der Welt als letztem Supergegenstand, oder den Atomen und Strings als letzten Materiebausteinen – von denen wir verlangten, dass sie durch nichts weiteres begrenzt würden. Daraus resultierend können wir als erstes festhalten, dass die vorhandene Unendlichkeit jeglicher Bereiche eine aktuale Unendlichkeit ist und es sich um ein stoffliches Kontinuum, ohne kleinste Teilchen, handelt. Die Begriffe der aktualen und potentiellen Unendlichkeit werden weiter unten genauer erläutert.

Befassen wir uns mit diesen Konsequenzen der notwendigen Bereiche einmal genauer. Aus der Unmöglichkeit der kleinsten Teilchen folgt das stoffliche Kontinuum und, dass auch im Infinitesimalen jeder herausgegriffene Punkt alles Mögliche enthält, es keine vorher (in Form, Größe oder Beschaffenheit) definierten Elemente gibt. Hätten wir Kontingenz und Zeit (Wandel) nicht, gäbe es einen Determinismus für die Beschaffenheit und Position jedes Seienden, dadurch hätten wir aber wieder einen Gegenstand, eine Art Welt-Teppich ohne existentiellen Hintergrund. Und zusätzlich eine Regel, die diese Festsetzung definierte, somit erneut einen Bereich aller Bereiche. Das heißt, dass jeder Punkt im stofflichen Kontinuum jede Mächtigkeit von Zeit, Möglichkeiten, Formen, Gegenständen etc. aufweisen muss. Größen sind nur Verhältnisse im Raum, Beschaffenheit in Form und Größe verändert sich durch Kontingenz und Wandel beliebig.  Hier kommen wir zum Begriff der Mächtigkeit einer Menge und damit zur Geschichte und Philosophie der Mathematik und den Paradoxien, die im Zusammenhang mit der Betrachtung des Unendlichen aufgetaucht sind.

Die Geschichte des Unendlichen in der Mathematik

In unserem Sprachgebrauch, die Bildung unserer Begriffe, neigen wir dazu Ganzheiten zu schaffen,  allein schon durch die Tatsache, dass die meisten Begriffe Eigenschaften von Gegenständen beschreiben sollen. Dadurch entstehen Bestimmtheiten, das heißt Abgrenzungen von Gegenständen zu anderen, wodurch wiederum Einheiten, Elemente entstehen. Diese Einheiten entsprechen unserer heutigen Vorstellung vom Unendlichen der Mathematik Georg Cantors. So wie wir die Welt aus Gegenständen zusammenfassen, bilden wir Mengen aus Elementen. Wir sind gewohnt zu strukturieren und zu formalisieren, und seit der Manifestation der gesamten Mathematik auf der modernen Mengenlehre (Cantors Mengenlehre) auch in streng mathematischer Weise. Formalisierung und Einteilung in Elemente waren aber nicht immer die gängige Betrachtungsweise der Realität. Das Kontinuum als Menge aufzufassen und das ursprüngliche, nicht-definierte (oder nicht-formalisierte) Kontinuum aus der Nutzung der Mathematik auszuschließen, war erst mit der Einführung der modernen Mengenlehre eine Entscheidung, die getroffen wurde, keine Notwendigkeit. Durch Cantors Identifikation des Kontinuums mit den reellen Zahlen wurde zudem mit der Infinitesimalrechnung auch eine Selbstverständlichkeit das unendlich kleine zu betrachten, ausgeschlossen (Bedürftig und Murawski, 2010, S. 279). Die Einteilung in einzelne Objekte hat zudem verschiedene Paradoxien (z.B. Zenons Paradoxon)  hervorgerufen, die innerhalb der strukturierten Mengenlehre nicht gelöst werden können. Im Gegensatz zur Einteilung in Elemente steht die Betrachtung des Kontinuums bei Aristoteles, bei dessen Betrachtung Zenons Paradoxon nicht auftrat, weil das Kontinuum nur unendlich teilbar sein konnte und keine Punktauffassung angenommen wurde (Bedürftig und Murawski, 2010, S. 161). Doch da bei Aristoteles die Mathematik Teil der alltäglichen anschaulichen Welt war und er in dieser das aktuale Unendliche ausgeschlossen wissen wollte, war nur das potentiell Unendliche zugelassen, was zu neuen Problemen führte und im Laufe der Geschichte als Mathematik nicht mehr ausreichte. Deshalb haben Cantors Entdeckungen der aktualen Unendlichkeiten die Mathematik grundlegend revolutioniert und weiterentwickelt. Aus der Einteilung in Elemente ergab sich aber die Frage nach der Mächtigkeit des Kontinuums (des mit ℝ identifizierten Kontinuums), also die heutige Kontinuumshypothese, die aber wiederum auf der Annahme aufbaut, das Kontinuum sei eine Menge, eine Einteilung in Elemente (Bedürftig und Murawski, 2010, S. 156). In beiden Betrachtungsweisen, dem klassischen anschaulichen Kontinuum bei Aristoteles und dem heutigen, aktualen aber mit ℝ identifizierten Kontinuum Georg Cantors tauchen Probleme auf. Bei der ersten ist das Kontinuum homogen und überwindet heutige Paradoxien (durch Verschiebung unterschiedlicher homogener Bereiche, nicht, wie noch von Aristoteles geschlussfolgert, durch das Potentielle), doch es wird die aktuale Unendlichkeit ausgeschlossen. Das Potentielle kann aber ohne aktual unendlichen Hintergrund nicht existieren. Bei der zweiten haben wir zwar das aktual Unendliche, aber durch die Einteilung in Elemente auch diskrete Bausteine, die selbst nicht teilbar sind und damit wieder eine letzte Grenze bilden sollen, die selbst keinen Hintergrund hat (Bedürftig und Murawski, 2010, S. 186). Um diese Probleme zu überwinden und die Mächtigkeit des raumzeitlichen Kontinuums der Welt richtig beschreiben zu können, muss eine Synthese der beiden Betrachtungsweisen geschaffen werden. Das Aktuale und Infinitesimale der Mathematik und ihre ursprüngliche Betrachtung des homogenen Kontinuums müssen mit Kontigenz und Zeit verbunden werden.

Absolute Unendlichkeit der Welt

Um diese Synthese herzustellen, muss das homogene Kontinuum, das vor Cantor vorherrschend in der mathematischen Betrachtung war, mit der in Elemente eingeteilten aktualen Unendlichkeit Georg Cantors und dem Infinitesimalen vereint werden. Zusätzlich müssen Kontingenz und zeitlicher Wandel notwendig in die Betrachtung der Mächtigkeit der Welt mit einbezogen werden. Wir befassen uns mit den einzelnen Bereichen der Reihe nach:

Die aktuale Unendlichkeit: durch Cantors Erweiterung der Mengenlehre, seine Systematisierung von Mengen und die Untersuchung ihrer Mächtigkeiten hat er dafür gesorgt, nicht nur die Tiefe und Größe des Kontinuums erkennbar zu machen, sondern auch das potentiell Unendliche zu überwinden und deutlich zu machen, dass das aktual Unendliche überall vorhanden ist, weil es unendlich viele Stufen von Unendlichkeiten gibt (Satz von Cantor). Cantor begründete sein Bereichsprinzip wie folgt:

„Damit eine […] veränderliche Größe in einer mathematischen Betrachtung verwertbar sei, muss strenggenommen das ‚Gebiet’ ihrer Veränderlichkeit durch eine Definition vorher bekannt sein; dieses ‚Gebiet’ kann aber nicht selbst wieder etwas Veränderliches sein, da sonst jede feste Unterlage der Betrachtung fehlen würde; also ist dieses ‚Gebiet’ eine bestimmte aktual unendliche Wertmenge.“ (Cantor, 1932, S. 410 f.)

Der Bereich, über den eine variable, auch unendliche, Größe variiert, muss ein wohl bestimmter Bereich sein. Dadurch ist jedes potentiell anwachsende in jeder Momentaufnahme ein begrenztes Objekt, das aber durch etwas begrenzt sein müsste. So erkannte Cantor die potentielle Unendlichkeit als keine richtige Unendlichkeit und die aktuale Unendlichkeit als notwendige Voraussetzung für diese. Damit muss die (ontologisch) potentielle Unendlichkeit schlussendlich verbannt werden. Das Potentielle ist nur ein potentielles unserer Anschauung nach, da wir nur in ihr eine Folge abschreiten.

Das Infinitesimale ist notwendig, weil Gegenstände nicht nur äußere, sondern auch innere Seinsbereiche brauchen. Gegenstände bestehen auch in ihre Innenrichtung aus Raum, sie nehmen Raum ein. Dieser muss ebenso kontinuierlich homogen sein. Denn durch die Annahme diskreter kleinster Teilchen, auch denen alle Gegenstände bestehen, hätten wir, wie oben beschrieben, eine Art Weltteig erschaffen, aus dem alles bestehen soll, der aber selbst nicht existieren kann, da die Teilchen selbst keinen eigenen Hintergrund  besitzen sollen. Sie sollen die Gegenstände konstituieren, aber selbst nicht konstituiert werden. Hinzu kommt, dass die Position und Definition von Vordergrund und Hintergrund, d.h. Seiendem und Sein, nicht festgelegt ist. Ein konstituierender Hintergrund ist selbst Gegenstand in weiteren Hintergründen. Vordergründe sind infinitesimale Inhalte. Doch das Infinitesimale ist ebenfalls, wie jede Mengenbetrachtung, eine Strukturierung, daher wird durch sie das homogene Kontinuum auch nicht abschließend erfasst. Es ist nur ein weiteres Werkzeug, die Tiefe der Unendlichkeit erkennbar zu machen. Durch bestimmte Adjunktionen ist das Transfinite Georg Cantors im Infinitesimalen abbildbar (Bedürftig und Murawski, 2010, S. 175). Das heißt, dass sich die Unendlichkeit der äußeren und inneren Bereiche eines Objekts nicht unterscheidet, die Mächtigkeit ist die gleiche.   

Aus dem oben beschriebenen Bereichsprinzip ergibt sich dann außerdem, dass die lineare (homogene), klassische, Betrachtung des Kontinuums notwendig ist, weil sich die Elemente von ℝ und die des Infinitesimalen wie ins homogene Kontinuum gesetzte Punkte verhalten. Und diese Punkte brauchen selbst Seinsbereiche, von denen sie konstituiert werden, da sie sonst nicht existieren und somit auch keine weiteren Gegenstände konstituieren könnten.„Das (anschauliche) Kontinuum, so zeigt sich hier auch mathematisch, entspricht einer unerschöpflichen ‚kontinuierlichen Raumsoße’“, wie Brouwer dies beschrieb (Brouwer, zitiert nach: Becker, 1954, S. 346). Doch diese Raumsoße ist kein unbestimmtes Etwas, sie ist weder durch eine Regel bestimmt noch unbestimmt, weil es auch für Unbestimmtheit ein Kriterium geben müsste. Sie ist überbestimmt – über im Sinne von unendlich bestimmt. Das Homogene des Kontinuums, ist keine ‚homogene Masse‘ oder gleichförmige Stofflichkeit, sondern heterogene Unendlichkeit. Was homogen ist, ist nur die Gleichberechtigung jedes Raumpunktes in Bezug zu seiner Teilbarkeit. Alle möglichen Einteilungen im Kontinuum entsprechen einer unendlichen Teilbarkeit anstatt einer unendlichen Geteiltheit.

Des Weiteren gäbe es, ohne Kontingenz (die Möglichkeit auch anders sein zu können) und Zeit, d.h. Veränderung, für jeden Gegenstand auf bestimmte Orte definierte Positionen mit bestimmter Beschaffenheit und zeitlicher Erscheinung. Es wäre wieder ein determinierter Supergegenstand, der Möglichkeiten und Veränderung ausschließt und damit ein endliches Objekt schafft. Aus dem notwenigen Zulassen dieser zeitlichen und kontingenten Hintergründe ergibt sich, dass alles zu allem werden kann. Veränderung ist zeitliche Unendlichkeit – Ewigkeit. Denn diese kann nur gegeben sein, wenn es Vergangenheit und Zukunft gibt. Unwandelbarkeit als keine Ewigkeit, da man bei unwandelbaren Objekten die Veränderung der Zeitpunkte nicht zulässt, sie also ausgrenzt, denn das Objekt soll ja keine zeitliche oder substantielle Veränderung durchmachen. Durch das Zulassen von Veränderung und Möglichkeiten sind Größenverhältnisse nicht mehr festgesetzt. Wenn wir das Transfinite ins Infinitesimale projizieren können, können wir alle Größenverhältnisse beliebig neu in Relationen setzen. Doch auch Kontingenz und Wandel sind nicht potentiell unendlich, denn Gegenstände ändern sich nicht quantitativ, sondern qualitativ, die Veränderungen und Möglichkeiten dazu sind als Bestandteil im Existierenden angelegt. Zeit und Kontingenz sind aktual. Wie Heidegger schrieb, sind Zeit und Möglichkeiten Bestandteil des Seins als geschichtliche Geworfenheit (Heidegger 1967, S. 135). Durch Zeit entstehen qualitativ neue Dinge, mit verschiedenen Möglichkeiten wie sie sich verändern, ohne anzuwachsen oder hinzu zu kommen. Sie sind Bestandteil der Dinge.

Durch den Erfolg der Erweiterungen der Mengenlehre durch Cantor wurden vorherige Betrachtungsweisen, wie das homogene Kontinuum oder das Infinitesimale, überholt, ohne sie zu integrieren. Cantors Revolution bestand darin, das mathematisch Aktuale, das Transfinite, durch Einteilung in Elemente zu fassen. Für ihn gab es aber noch eine Trennung zwischen der aktualen Unendlichkeit der Mathematik, der Welt und des Absoluten, also der absoluten Unendlichkeit (Bedürftig und Murawski, 2010, S. 70). Für ihn war das Unendliche der Mathematik und der Welt im Absolutunendlichen vorkommend, aber dieses Absolutunendliche dennoch unserer Betrachtung zugänglich. Um die Probleme  in der Betrachtung des (heutigen) Kontinuums zu überwinden, muss diese Trennung aus den oben beschriebenen Gründen aufgehoben werden. Gerade durch das Bereichsprinzip ist das Absolutunendliche nicht als außen stehendes Wesentliches auszugrenzen, sondern muss als weltimmanent angesehen werden und die Unendlichkeit der Welt kann nicht vom Absoluten abgegrenzt werden. Denn das Bereichsprinzip (der konstituierenden Seinsbereiche) gilt für jegliche Bereiche. Die Unendlichkeit der Welt kann nicht abschließend mathematisch formalisiert werden. Daher können wir die Unendlichkeit der Welt (und des Kontinuums) mit der absoluten Unendlichkeit Georg Cantors identifizieren, weil diese Cantors Erkenntnis nach, eben nicht abschließend mathematisch beschreibbar, d.h. seiner Mathematik nach in Elemente zerlegbar war. Nur so kann die kontinuierliche Raumzeit der Welt größtmöglich und ohne Begrenzungen beschrieben werden, sodass jeder (Betrachtungs-) Gegenstand durch alle möglichen Seinsbereiche konstituiert wird, ohne bestimmte Seinsbereiche auszulassen.

Erkenntnisse und Weltkonzepte durch Symbole

Wenn wir aber die Welt und ihre Strukturen mathematisch beschreiben können, was ist dann die Realität mathematischer Objekte? Wie wir oben gesehen haben, sind selbst innerhalb der Mathematik ihre Strukturen nicht letztbestimmt, sondern bedürfen immer weiterer Bereiche, die sie konstituieren (übrigens auch ein Ergebnis von Gödels Unvollständigkeitssätzen).

Lässt sich also mit Mathematik die Wirklichkeit realistisch beschreiben? Mathematische Strukturen bilden erfolgreich Zusammenhänge der Realität ab. Wie Penelope Maddy schreibt: „Our reality is structured in many ways, into individual objects, into natural kinds, into patterns and structures of many sorts. … [T]he idea that physical reality can stand alone, that it comes first and that mathematics is separate, secondary or imposed, must be rejected.“ (Maddy, 1988, S. 282).

Doch Strukturen in der Welt, so wie mathematische Strukturen, sind nicht die letzte Realität, wie beispielsweise der Platonismus dies vorsieht. Jeder Zusammenhang ist nur eine Möglichkeit unter vielen. Die Struktur, die ein Objekt bildet, ist Teil anderer Strukturen und Objekte und selbst wieder aufgeteilt in weitere. Objekte und Strukturen ergeben sich aus ihren jeweiligen Verbindungen zum Hintergrund und Vordergrund weiterer Beziehungen zu allem möglichen. Zudem gilt, wie oben gezeigt wurde, dass der Raum mit Kontingenz und Zeit verbunden ist. Daraus folgt für jegliche Strukturen, die die Welt beschreiben (eben auch mathematische), dass sie keine letzen Strukturen sein können, sondern jede (mathematische) Struktur mit ihrer Raum-Zeit zusammen evolviert sein muss und sich mit dieser auch weiterwandelt (wie u.a. auch schon von Meillassoux (2010) vorgebracht). Evolution ist die Konsequenz aus der Mächtigkeit und Zeitlichkeit des Seins. D.h. Struktur kann nicht als Ordnung aufgefasst werden, sondern ist auf Grund des Fehlens einer einheitlichen Substanz, die Beziehung von Dingen untereinander. Dabei kann alles mögliche in Beziehung zu einander treten. Weltliche Strukturen, die mathematisch beschrieben werden, treten immer aus dem raumzeitlichen Kontinuum hervor. Genauso bedeuten mathematische Strukturen und Objekte Elemente innerhalb des homogenen Kontinuums der Mathematik. Diskrete Punkte, ℝ, können das homogene Kontinuum nicht ausfüllen. Sie treten bei Betrachtung beliebig aus ihm hervor, aber decken es nicht ab. Das heißt, mathematisch können immer nur Aspekte des Kontinuums beschrieben werden (Bedürftig und Murawski, 2010, S. 174). Daraus den Schluss zu ziehen, dass wir das Absolutunendliche gar nicht erkennen oder beschreiben können, weil Mathematik dazu nicht ausreicht oder weil wir in der Anschauung keine unendliche Reihe abschreiten können (wie bei vielen Autoren argumentiert: z.B. Aristoteles, 1829, Kant, 1966 und Kreis, 2015), ist falsch. Um das Absolutunendliche zu beschreiben oder zu erkennen, bedarf es nur eines Begriffs, den wir mit der homogenen Version des Kontinuums schon haben. Es ist die Tatsachenerkenntnis, dass jegliche Struktur (wie z.B. ℝ und die Infinitesimalien), jegliches Objekt, eine Kontur innerhalb aller möglichen Seinsbereiche der Hintergründe und Vordergründe des Kontinuums ist. Das heißt mit jeder Erkenntnis eines endlichen Objekts oder einer endlichen Struktur, ist die Absolute Unendlichkeit zwangsläufig schon mit erkannt, weil innerhalb ihrer die Figur vom Grund getrennt wird. Wenn wir in unserer Betrachtung Figuren vom Hintergrund trennen, können wir von diesem Akt der Anschauung nicht auf die Ontologie der Dinge an sich schließen (wie Kant in seien Kosmologischen Antinomien: siehe Kant, 1966, oder Aristoteles in seiner potentiellen Unendlichkeit angeschauten der Teilungsakte: siehe Aristoteles, Aristoteles 1829, 193 b 22 und Tengelyi 2014, 496-497). Die Dinge selbst unterliegen in ihrem Sein keinen Begrenzungen und sind nicht unserer Auswahl der Anschauung unterworfen. Stattdessen können Gegenstände beliebig in unterschiedlichem Sein betrachtet werden.

Dies entspricht einem philosophischen (metaphysischen und erkenntnistheoretischen) Pluralismus, der darauf verzichtet einheitliche Theorien, Ontologien oder Metaphysiken anzunehmen und so den einzigen offenen Zugang zur Realität bietet, der sich mit der Mächtigkeit der Unendlichkeit der Welt befasst und sie als absolute Unendlichkeit identifiziert.

Referenzen

Aristoteles. (1829). Physik: Deutsch: C. H. Weiße. Leipzig: J.A. Barth.

Badiou, A. (2005). Being and event. New York: Continuum

Becker, O. (1954). Grundlagen der Mathematik in geschichtlicher Entwicklung. Freiburg, München, S. 346

Bedürftig, T., und Murawski, R. (2010). Philosophie der Mathematik. Berlin/New York: Walter de Gruyter

Cantor, G. (1932). Mitteilungen zur Lehre vom Transfiniten. Abschnitt VII in: Gesammelte Abhandlungen mathematischen und philosophischen Inhalts, hg. von Ernst Zermelo, Berlin

Gabriel, M. (2013). Warum es die Welt nicht gibt. Berlin: Ullstein.

Gabriel, M. (2016). Sinn und Existenz: eine realistische Ontologie. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Heidegger 1967, Sein und Zeit

Kant, I. (1966). Kritik der reinen Vernunft, Philipp Reclam Jun. GmbH & Co., Stuttgart.

Kreis, G. (2015). Negative Dialektik des Unendlichen: Kant, Hegel, Cantor. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Maddy, P. (1988). Mathematical realism. Midwest Studies in Philosophy 12, 275-285, S. 282

Meillassoux, Q. (2010). After finitude: An essay on the necessity of contingency. London/New York: Bloomsbury Publishing;

Tengelyi, L. (2014). Welt und Unendlichkeit: zum Problem phänomenologischer Metaphysik Freiburg, München: Verlag Karl Alber

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