Die Unendlichkeit der Natur und der Einzeldinge – Husserls allseitig unendliches Erscheinungskontinuum und das Konzept des Kontinuums in der Philosophie der Mathematik

Dieser Artikel ist erschienen in: Mühlenbeck, C. (2020). Die Unendlichkeit der Natur und der Einzeldinge – Husserls allseitig unendliches Erscheinungskontinuum und das Konzept des Kontinuums in der Philosophie der Mathematik. META: Research in Hermeneutics, Phenomenology, and Practical Philosophy. Vol. XII, No. 2 / December 2020: 249-283, ISSN 2067-3655, Alexandru Ioan Cuza University Press, Iasi, Romania. Um den Artikel zu zitieren, nutzen Sie bitte diese Referenz.

Zusammenfassung

In der zeitgenössischen Philosophie wird die Welt zunehmend mit Unendlichkeit identifiziert und geschlossene Weltbilder werden verdrängt. Wie tief ist diese Unendlichkeit und wie ist sie beschaffen? Zur Beantwortung dieser Frage wird die offene Unendlichkeit bei Tengelyi und Husserl der indefiniten Unendlichkeit bei Gabriel und dem Absolutunendlichen bei Cantor und von Kues gegenübergestellt. Dabei stellt sich heraus, dass diesem Begriff der offenen Unendlichkeit immer noch etwas pontentielles – ähnlich der Aristotelischen Unendlichkeit der möglichen Teilungen – anhaftet, weil sie als unvollständig gedacht wird. Dieses Potentielle ist aber problematisch, da Begrenzungen entstehen, die eines Hintergrundes bedürfen, vor dem das Begrenzte existieren kann. Daher hier wird der Versuch unternommen, Husserls Verständnis der Unendlichkeit des Eidos mit Erkenntnissen aus der zeitgenössischen Philosophie der Mathematik über das Wesen von Unendlichkeit zu verbinden, um so zu zeigen, dass die Offenheit der weltlichen Unendlichkeit nichts potentielles oder unvollständiges an sich hat. Kontingenz und Zeit sind untrennbar mit dem Raum verbunden und müssen daher als ebenso aktual-unendlich betrachtet werden wie der Raum. Im Vergleich mit der Beschreibung des Absolutunendlichen bei von Kues und Cantor wird deutlich, dass daraus ein aktual unendliches, lineares Kontinuum resultiert, das mit dem Absolutunendlichen identifiziert werden kann, in dem Möglichkeiten, Vergangenheit und Zukunft immer schon ineinander bestehen.

The infinity of nature and the individual things – Husserl’s infinite continuum of appearances and the concept of continuum in philosophy of mathematics

Abstract

In contemporary philosophy, the world is increasingly identified with infinity and closed world views are suppressed. How deep is this infinity, what is its nature? To answer this question, the open infinity of Tengelyi, Husserl and Gabriel is contrasted with the absolute infinite described by Cantor and von Kues. It turns out that the open infinity is still something potential – similar to the Aristotelian infinity of possible division – because it is thought to be incomplete. This potential infinity is problematic because limitations arise that require a background against which the finite can exist. Therefore, here Husserl’s conception of the open infinity of the Eidos will be combined with insights from contemporary philosophy of mathematics about the nature of infinity in order to show that the openness of the infinity of the world has nothing potential or incomplete. Contingency and time are inseparable combined to space and must, thus, be considered as actually infinite as space. Compared to the description of the absolute infinite by von Kues and Cantor, this results in an actual infinite, linear continuum that can be identified with this absolute infinite in which possibilities, past and future always exist intertwined.

1. Das offene Wesen und die Unvollständigkeit der Eigenschaften

1.3 Größen und qualitative Grenzen in der Raumzeit 

1.4 Unendlichkeit der Zeit 

Kommen wir zu den unterschiedlichen Möglichkeiten wie sich etwas verändert. Diese gab es auch in der Vergangenheit und gibt es in der Zukunft. Das heißt, Kontingenz ist Bestandteil der Zeit, in dem Sinne, dass sie die Art und Weise ist, wie sich etwas in der Zeit verändert. Für diese Art und Weise gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, denn es gibt keine Vorbestimmung auf einen zukünftigen Zustand und die Art seiner Veränderung, es gibt immer mindestens einen minimalen Spielraum. Da es keine Vorbestimmung auf zukünftige Zustände gibt, sind immer unterschiedliche Möglichkeiten des „Seinkönnens“ vorhanden. Die Möglichkeiten sind nicht potentiell sondern aktual im Zeitfluss enthalten, nicht im Sinne einer Substanz, sondern als das Gegebensein von Möglichkeiten. Die Kontingenz  besagt gerade, dass alle Möglichkeiten offen stehen. Für das Eintreten von Möglichkeiten, also die zeitliche Veränderung in eine mögliche Richtung, gibt es dann verschiedene Wahrscheinlichkeiten. Damit wird die Anzahl an vorhandenen Möglichkeiten ebenfalls unendlich, nur das Eintreten einiger ist wahrscheinlicher als das anderer. Da Raum und Zeit zusammenhängen, sind auch die Möglichkeiten der Veränderungen an die Gegebenheiten des jeweiligen Hintergrundes gebunden. Heidegger erkannte diese notwendige Verbindung von Sein, Zeit und Kontingenz. Er schreibt:

Hinzu kommt, dass Zeit als relativ betrachtet werden muss, da eine absolute Zeit, die alles auf gleiche Weise einrahmt, die gleichen Probleme verursacht wie ein absoluter Raum, in dem alles geschieht. Mit einer absoluten Zeit würde wieder ein letztes (zeitliches) Objekt geschaffen werden, das alles übrige bestimmt aber selbst nicht bestimmt wird. Stattdessen werden Dinge eben durch ihre Verschiedenheit, auch durch ihre zeitliche Verschiedenheit, zu allen möglichen anderen Dingen definiert. Eine geordnete Einheit, die alles definieren sollte, müsste selbst ihre Ordnung von der übrigen möglichen Unordnung oder von anderen Ordnungen abgrenzen. Deshalb ist auch im Zeitkontinuum jedes Seiende eine Überlagerung aller möglichen Zeiten, da das Zeitkontinuum Bestandteil des Raumkontinuums ist. In der Gegenwart eines Seienden kommt ein räumliches Kontinuum zusammen, das aus unterschiedlichen Vergangenheiten besteht und sich in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt. Denn Raumzeit entwickelt sich nicht geschlossen in eine Richtung, sie ist entropisch. So kann die Gegenwart jedes Seienden zu anderen Seienden mit ihren eigenen Zeiten abgegrenzt werden. Mit der Metapher des Flusses heißt das, dass die Fließrichtung nicht vorgegeben ist (wenn man in dieser Metapher einmal vom „vorwärts“ absieht). Nur die Bewegung gehört zum Fluss, aber für Richtung und Geschwindigkeit bleibt immer ein minimaler Spielraum, für jeden Raumzeitausschnitt den wir betrachten. Da Zeit, wie Raum nicht in Elemente zerlegbar, sondern kontinuierlich ist, ist die Anzahl dieser Richtungen und Geschwindigkeiten unendlich (da unendlich teilbar anstatt unendlich geteilt). Die Mächtigkeit dieser möglichen Entfaltung steckt in jedem Raum-Zeit-Punkt. Qualitative (kontingent-zeitliche) Veränderung eines Seienden kann auf diese Weise als aktual unendlich betrachtet werden, da das lineare Raum-Zeit-Kontinuum diese Mächtigkeit an Möglichkeiten bereithält, sodass sie sich zu den jeweiligen Zeitpunkten entfalten können.

2. Die Mächtigkeit des Eidos und des linearen Kontinuums in einer absolutunendlichen Raum-Zeit

2.1 Der Zusammenhang zwischen Raum, Zeit und Kontingenz als Übereinstimmung mit dem Absolutunendlichen

2.1.1 Raum 

2.1.2 Kontingenz

2.1.3 Zeit

2.2 Die Mächtigkeit des Eidos


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