Dieser Artikel ist erschienen in: Mühlenbeck, C. (2020). Die Unendlichkeit der Natur und der Einzeldinge – Husserls allseitig unendliches Erscheinungskontinuum und das Konzept des Kontinuums in der Philosophie der Mathematik. META: Research in Hermeneutics, Phenomenology, and Practical Philosophy. Vol. XII, No. 2 / December 2020: 249-283, ISSN 2067-3655, Alexandru Ioan Cuza University Press, Iasi, Romania. Um den Artikel zu zitieren, nutzen Sie bitte diese Referenz.
Zusammenfassung
In der zeitgenössischen Philosophie wird die Welt zunehmend mit Unendlichkeit identifiziert und geschlossene Weltbilder werden verdrängt. Wie tief ist diese Unendlichkeit und wie ist sie beschaffen? Zur Beantwortung dieser Frage wird die offene Unendlichkeit bei Tengelyi und Husserl der indefiniten Unendlichkeit bei Gabriel und dem Absolutunendlichen bei Cantor und von Kues gegenübergestellt. Dabei stellt sich heraus, dass diesem Begriff der offenen Unendlichkeit immer noch etwas pontentielles – ähnlich der Aristotelischen Unendlichkeit der möglichen Teilungen – anhaftet, weil sie als unvollständig gedacht wird. Dieses Potentielle ist aber problematisch, da Begrenzungen entstehen, die eines Hintergrundes bedürfen, vor dem das Begrenzte existieren kann. Daher hier wird der Versuch unternommen, Husserls Verständnis der Unendlichkeit des Eidos mit Erkenntnissen aus der zeitgenössischen Philosophie der Mathematik über das Wesen von Unendlichkeit zu verbinden, um so zu zeigen, dass die Offenheit der weltlichen Unendlichkeit nichts potentielles oder unvollständiges an sich hat. Kontingenz und Zeit sind untrennbar mit dem Raum verbunden und müssen daher als ebenso aktual-unendlich betrachtet werden wie der Raum. Im Vergleich mit der Beschreibung des Absolutunendlichen bei von Kues und Cantor wird deutlich, dass daraus ein aktual unendliches, lineares Kontinuum resultiert, das mit dem Absolutunendlichen identifiziert werden kann, in dem Möglichkeiten, Vergangenheit und Zukunft immer schon ineinander bestehen.
The infinity of nature and the individual things – Husserl’s infinite continuum of appearances and the concept of continuum in philosophy of mathematics
Abstract
In contemporary philosophy, the world is increasingly identified with infinity and closed world views are suppressed. How deep is this infinity, what is its nature? To answer this question, the open infinity of Tengelyi, Husserl and Gabriel is contrasted with the absolute infinite described by Cantor and von Kues. It turns out that the open infinity is still something potential – similar to the Aristotelian infinity of possible division – because it is thought to be incomplete. This potential infinity is problematic because limitations arise that require a background against which the finite can exist. Therefore, here Husserl’s conception of the open infinity of the Eidos will be combined with insights from contemporary philosophy of mathematics about the nature of infinity in order to show that the openness of the infinity of the world has nothing potential or incomplete. Contingency and time are inseparable combined to space and must, thus, be considered as actually infinite as space. Compared to the description of the absolute infinite by von Kues and Cantor, this results in an actual infinite, linear continuum that can be identified with this absolute infinite in which possibilities, past and future always exist intertwined.
1. Das offene Wesen und die Unvollständigkeit der Eigenschaften
Im aktuellen Zeitgeist der Philosophie wird die Welt zunehmend mit dem Unendlichen gleichgesetzt und mathematisch beschrieben, wie bei Badiou, Meillassoux und Gabriel (Badiou 2016; Gabriel 2013; Meillassoux 2014). Dabei wird für eine aktuale, offene Unendlichkeit argumentiert, weil sich jede Totalität der Welt, im Sinne eines geschlossenen Ganzen, selbst als Menge ausschließt und dabei mächtiger wäre als ihr Inhalt. Dies ist ein Argument der Mengenlehre: nehmen wir an, es gäbe eine Menge, die alles enthalten soll. „Alles“ wird dabei zu allen Elementen der Menge. Dann ist die Menge selbst aber ebenfalls ein Element, das aber wiederum von der Menge nicht beinhaltet wird. Daher kann die Menge nicht alles enthalten, da sie sich selbst nicht enthält. Bei Markus Gabriel wird dieses Argument als Unmöglichkeit einer geschlossenen Welt beschrieben, weil sie durch ihre Abgeschlossenheit einen Hintergrund oder ein Sinnfeld benötigte, vor dem sie abgeschlossen sein könnte. Daher kann keine abgeschlossene Welt, die alles enthält, angenommen werden, weil sie den begrenzenden Hintergrund nicht mit beinhaltet. Diese Idee ist nicht neu, sondern wird bereits in Spinozas Metaphysik beschrieben, die auf einer absolut unendlichen Substanz aufbaut, welche wiederum aus einer unendlichen Anzahl von Attributen besteht, jedes davon mit einem ewigen und unendlichen Wesen (de Spinoza 1976, p. 4). Oder, in Heideggers Sein und Zeit (Heidegger 2015) in der ontologischen Differenz zwischen jedem Seienden und seinem Sein, in welchem das Sein (was wir analog als den definierenden Hintergrund oder das jeweilige Sinnfeld betrachten können) erst das Seiende als Seiendes konstituiert. Dies sind drei Beispiele für das Argument, dass eine geschlossene Welt immer eines konstituierenden Hintergrundes bedürfen müsste, wenn sie existieren sollte. Ähnlich greift László Tengelyi in Welt und Unendlichkeit (Tengelyi 2014) auf Edmund Husserl zurück, der in seinen Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie (Husserl 1950a, S. 299) zu dem Schluss kommt, dass nicht nur den Einzeldingen der Welt, sondern auch der Natur ein offenes Wesen zugeschrieben werden muss (Husserl 1950b, S. 199 f.) und dass letztere kein in sich geschlossenes Ganzes bilden kann, sondern durch eine offene Unendlichkeit bestimmt wird. Husserl sucht nach einer Theorie oder Wissenschaft des Absoluten.(Arnold 2017; Husserl 2014, S. 248), wobei vermutet wird, dass er mit dieser offenen Unendlichkeit zunächst die transfinite Unendlichkeit identifiziert (Hill 1997, S. 261-266; Tengelyi 2014, Dritter Teil), da eine Unendlichkeit von Gegenständen, also Elementen beschrieben wird (Husserl 1999, S. 395). Später grenzt er das Transfinite wiederum zu Gunsten einer mächtigeren Offenheit ab (Husserl 1952, S. 299), allerdings wird die Tiefe oder nähere Beschaffenheit dieser offenen Unendlichkeit nicht näher erläutert. In diesem Text soll deshalb Husserls Unendlichkeit des Eidos den Erkenntnissen, die im Laufe der Zeit in Bezug auf Unendlichkeit erweitert wurden, gegenübergestellt werden. Die Frage, die hier beantwortet wird, ist also: wie ist die Unendlichkeit der Welt – und damit der Natur und der Einzeldinge – beschaffen, was ist die Mächtigkeit des Eidos?
Husserl sah die Mengenlehre im speziellen und die Mathematik im Allgemeinen als eine formale Ontologie (Husserl 1981, S. 68). Einerseits bestand zwischen Husserl und Cantor eine enge Verbindung auf persönlicher Ebene und durch Husserls Anwendung der mathematischen Entdeckungen Cantors auf die Phänomenologie (Hill 2017, S. 169-196) auch auf professioneller Ebene. Andererseits grenzte er sich aber auch zur Mathematik Cantors ab und schrieb zur Unendlichkeit: „Die aktuelle Erfahrung bietet natürlich keine Dinge mit unendlich vielen Eigenschaften“ (Husserl 1950b, S. 195). Tengelyi erläutert, dass Cantor in Anlehnung an die physikalische Äthertheorie annahm, materielle Körper wiesen unendlich viele unterschiedliche Bestandteile auf, und dass diese Annahme nach heutigem Verständnis unhaltbar sei. (Tengelyi 2014, S. 535) So sei das Unendliche in der Welt „gewiss nicht im physikalischen Universum selbst, sondern lediglich in unserem – jeweils perspektivischen – Verhältnis zu ihm“ (Tengelyi 2014, S. 535) vorhanden. Es „kommt […] nach phänomenologischer Auffassung mit uns in die Welt“ (Tengelyi 2014, S. 535). Nach dieser Interpretation wird aber das Unendliche der Einzeldinge und der Natur (das physikalische Unendliche) vom Unendlichen unserer perspektivischen Verhältnisse getrennt. Auf Grund Husserls Übernahme der Mengenlehre Cantors in seine Phänomenologie (Husserl 1891; 1913, S. 28; 1987; 1994, S. 250) ist anzunehmen, dass sich Husserl mit dieser Übernahme auch zum aktual Unendlichen bekannte[1], da für Cantor unendliche Mengen generell und erst recht das Transfinite, aktuale Unendlichkeiten darstellen. Die Endlichkeit der aktuellen Erfahrung ist so zu verstehen, dass „aus diesen vieldeutigen und unendlichen Möglichkeiten bzw. aus diesem unendlichen Umfang eines möglichen Dinges die ‚aktuelle Erfahrung‘, die ‚einzige Wirklichkeit ‚des Dings‘, des ‚an sich‘ völlig bestimmten‘ herausschneidet. Diese Wirklichkeit eines Dings darf aber weder mit dem wirklichen, transzendenten Ding noch mit seinem Wesen verwechselt werden. Sie ist das ‚Seinsmoment‘ eines wesenhaft identischen Dings, das durch aktuelle Erfahrung gewährleistet wurde.“ (Breuer 2019, S. 551; Husserl 1950b, S. 197) Die oben genannte Trennung Tengelyis widerspricht nämlich auch der schlüssigen Argumentation gegen eine Totalität bei Spinoza, Meillassoux oder Gabriel, und auch der notwendigen Verbindung von Seiendem und Sein (Heidegger), die voraussetzt, dass Unendlichkeit auch im physikalischen Universum selbst vorhanden ist. Daher wird hier dafür argumentiert, dass das offen unendliche Wesen der Natur und der Einzeldinge wörtlich gemeint ist. Eine Begründung dafür geben folgende Überlegungen: wenn wir das physikalische Unendliche der Welt ausschließen (oder, wie Kant in seinem Antinomiekapitel der Kritik der reinen Vernunft (Kant 1966), annehmen, dass wir die Frage nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt nicht klären können), können wir auch kein perspektivisch Unendliches annehmen, weil es sich auf ein weltlich Unendliches beziehen müsste. Ein erstes Argument ist also, dass unsere Bezugnahme zur Welt sowohl selbst Teil der Welt ist, als auch in ihrer Bezugnahme ein Gegenstück besitzen muss, dem eine weltliche Unendlichkeit entsprechen muss, da sonst nicht unendlich Bezug genommen werden kann. Ein zweites Argument ist, dass wir auch deshalb etwas über die Unendlichkeit eines Gegenstandes (und der Welt) aussagen können, weil wir nicht nur diesen Gegenstand erfassen, wenn wir auf ihn Bezug nehmen, sondern auch die Bedingungen seiner Existenz mit erfassen können. Dabei sind diese Bedingungen aber nicht auf die Außenwelt der Einzeldinge beschränkt, denn die Unendlichkeit der Welt ist kein von den Einzeldingen nach außen Abgegrenztes. Sie ist vielmehr ebenso als Existenzbedingung nach innen zu begreifen – als unendliche Teilbarkeit – da sonst eine innere Grenze entstünde. Auch bei Husserl ist dieser äußere und innere Unendlichkeitshorizont schon zu finden: es „wird diese Unendlichkeit von jedem Ding wirklicher Erfahrung in der Weise von inneren und äußeren Unendlichkeitshorizonten in sich getragen und mit ihnen apperzipiert“.(Breuer 2019, S. 555; and Husserl 1993, S. 142). Deshalb sind die Einzeldinge selbst als genauso unendlich zu begreifen. Daher unternehmen wir den Versuch, den ontisch-ontologischen Status eines Gegenstands (also den Gegenstand in seinen unendlich vielen raumzeitlich Bezügen zum Sein) als real absolutunendlich und so sein Wesen, ohne innere oder äußere Begrenzungen, als tatsächlich offen zu begreifen. Zum Absolutunendlichen finden wir verschiedene Beschreibungen, einerseits beispielsweise bei Georg Cantor, andererseits bei von Kues. Wie wir später sehen werden, passt die Beschreibung von Kues‘ besser, da das Absolutunendliche aus Cantors Beschreibung oft noch als Ganzheit, als der Theologie zugehörig oder als von der Welt außen stehendes Wesen, interpretiert wird. Cantor sah das aktual Unendliche der Welt und der Mathematik als im absolut Unendlichen vorkommend, und als unserer Betrachtung zugehörig. Dadurch muss das Absolutunendliche nicht zwangsläufig als außen stehendes Wesentliches interpretiert, sondern kann auch als der Welt immanent betrachtet werden (Tengelyi 2014, Teil III, Abschnitt B). Bei Hoffmeister (1955) wird das Absolute definiert als das von allen einschränkenden Bedingungen Enthobene. Diese Betrachtung liefert das Problem, dass das Absolue so ausgegrenzt wird, da bedingtes und unbedingtes getrennt von einander sind. Der Unterschied zum Absolutunendlichen hingegen ist, dass letzteres alle Endlichkeiten und Unendlichkeiten beinhaltet. Dementsprechend sei angemerkt, dass das Absolute im vorliegenden Text generell nicht als ein für sich Außenstehendes, sondern als Absolute Unendlichkeit verstanden wird, die auf Grund ihrer kontinuierlichen Eigenschaften alle weiteren Formen von Unendlichkeit beinhaltet[2].
1.1 Potentielle Unendlichkeit in der Natur und den Einzeldingen
Zunächst werden die mit den bestehenden Positionen zusammenhängenden Probleme erläutert. Husserls Ding als allseitig unendliches Erscheinungskontinuum – sein Eidos – wird als offene Unendlichkeit beschrieben, weil er das Ding nicht als abgeschlossenes Ganzes sieht. Dabei wird seine offene Unendlichkeit aber immer noch als potentielle Unendlichkeit verstanden, weil er davon ausgeht, „dass ihr offenes Wesen immer wieder neue Eigenschaften annehmen kann“ (Tengelyi 2014, S. 544), wobei Eigenschaften, die neu entstehen, gemeint sind. Offenheit besteht nach seiner Auffassung in der Unvollkommenheit der Lebensweltlichen Dinge. Wenn wir das offen unendliche Wesen und das Entstehen neuer Eigenschaften als potentiell Unendliches begreifen, wäre die Offenheit aber begrenzt, weil in jedem Moment der Anschauung ein abgeschlossenes Ganzes vorläge. Der zeitliche Rahmen eines Gegenstands, auf den Bezug genommen wird, muss aber ebenfalls aktual unendlich sein, da sonst nicht in ihm vorgeschritten werden könnte. Die Beschränkung der Unendlichkeit auf das Potentielle geht auf Aristoteles zurück, der die aktuale Unendlichkeit aus der Alltagswelt ausgeschlossen wissen wollte (Aristoteles 1829, 193 b 22). Diesen Ausschluss nahm er vor, indem er die Unendlichkeit nur an die unendliche Folge aufeinanderfolgender Teilungsakte band (Tengelyi 2014, S. 496-497). Diese Teilungsakte bilden nach seiner Ansicht keine aktual unendliche Menge, da der eine Akt aufhört zu existieren, sobald der nächste vorgenommen wird. Er schlussfolgerte also vom potentiellen Teilungsakt auf die nur potentielle Unendlichkeit des Eingeteilten. Für ihn ist deshalb die unendliche Teilbarkeit des Kontinuums[3] an die potentielle Einteilung gebunden (Aristoteles 1907, Buch K). Auch wenn Aristoteles hier strikt zwischen dem potentiell Unendlichen dem Hinzusetzen nach (das nach seiner Auffassung das aktual Unendliche voraussetzt) und dem potentiell Unendlichen der Teilung nach (was nach seiner Auffassung keine aktuale Unendlichkeit voraussetzt) unterscheidet, so entkräftet ein Gegenargument Cantors jegliche Argumentation für eine potentielle Unendlichkeit. Cantor begründet sein Bereichsprinzip:
„Damit eine […] veränderliche Größe in einer mathematischen Betrachtung verwertbar sei, muss strenggenommen das ‚Gebiet‘ ihrer Veränderlichkeit durch eine Definition vorher bekannt sein; dieses ‚Gebiet‘ kann aber nicht selbst wieder etwas Veränderliches sein, da sonst jede feste Unterlage der Betrachtung fehlen würde; also ist dieses ‚Gebiet‘ eine bestimmte aktual unendliche Wertmenge.“ (Cantor 1932, S. 410 f.)
Wichtig ist, dass das Gebiet der Veränderlichkeit durch eine Definition bekannt ist, und nicht das Gebiet selbst abschließend definiert ist. Wir müssen nur wissen, in welchem Gebiet wir uns bewegen. Es ist also die Forderung nach einem Hintergrund, damit wir überhaupt etwas vor diesem Hintergrund betrachten können und nicht die Forderung nach einer abschließenden Definition des letzen Hintergrunds. Dieses Prinzip muss nicht nur auf die Mathematik, sondern auch auf jede andere gedankliche Einteilung in Objekte angewendet werden. Jede Operation, jedes Einteilen, muss als untrennbar mit einem Bereich verbunden betrachtet werden, also mit dem Hintergrund, in dem eingeteilt wird. Somit setzt auch die potentielle Unendlichkeit Aristoteles‘, die er an den Akt des Einteilens band, eine aktuale Unendlichkeit voraus, weil das, was eingeteilt wird als Bereich vorhanden sein muss. Die Bezugnahme auf den Akt des Einteilens ist charakteristisch für die Diskussionen, die nach Aristoteles zur potentiellen Unendlichkeit stattgefunden haben, wobei allerdings der Akt des Einteilens mit dem Bereich dessen, was eingeteilt wird, vermischt wird und von der Potentialität der Einteilung in Elemente auf die Potentialität des Eingeteilten geschlossen wird. So schließt beispielsweise Kant in seinem Antinomiekapitel der Kritik der reinen Vernunft (Kant 1966) von einem endlichen Erfahrungsprozess auf die Unmöglichkeit, die Frage zu entscheiden, ob die Welt in Raum und Zeit unendlich sei. Für eine ausführliche aussagenlogische Prüfung dieser Antinomien siehe: Malzkorn (1999). Kant räumt der Welt immer noch die Möglichkeit einer Totalität ein, die wir mit unseren Erfahrungskategorien nur nicht erkennen können (Gabriel 2016, S. 276). Diese Totalität ist aber aus existentiellen Gründen unmöglich, wie oben gezeigt. Und es besteht ein Unterschied zwischen der aktualen Unendlichkeit als notwendige Existenzbedingung und der potentiellen Unendlichkeit eines Erfahrungsprozesses. Erstere können wir als Teil jeder Erfahrung erkennen, weil sie eine ontologische Bedingung ist und zum Gegenstand gehört. Letztere betrifft den möglichen Prozess der Erfahrung. Zusätzlich wird ein Widerspruch durch unsere alltagssprachlichen Begriffe hervorgerufen, indem wir Unendlichkeit mit Ganzheit, Totalität, Vollständigkeit, Größe beschreiben wollen (vgl. hierzu auch Kreis 2015). Diese Begriffe implizieren aber immer schon eine Einheit, ein Objekt. Eine unendliche Totalität kann aber nicht erfasst werden, da Unendlichkeit einfach keine Totalität, kein Objekt, im Sinne einer abgeschlossenen Ganzheit, ist. Totalität setzt eine definierte Einteilung in Elemente und eine Begrenzung dieser Elemente voraus, auf Grund dieser dann etwas total (vollständig) sein kann. Selbst eine formalisierte Unendlichkeit wie die der ganzen Zahlen beispielsweise, ist aktual unendlich und nicht vollständig im Sinne einer Ganzheit. Diese Begriffe gehören zum Prozess des Einteilens, und nicht zum Kontinuum, in dem eingeteilt wird. Das Problem ist eines unserer sprachlichen Konventionen und nicht der Unendlichkeit. Deshalb führt auch Cantors Bezeichnung des Absolutunendlichen als das „absolute Maximum“ (Cantor 1962a, S. 391) zu Missverständnissen oder Fehlinterpretationen. Fehlinterpretationen deshalb, weil Cantor das Absolutunendliche ausdrücklich als die Voraussetzung jedes anderen formalisierten Unendlichen erkannte, so wie er das aktual Unendliche als Voraussetzung jedes Potentiellen erkannte (siehe Erläuterungen oben zu Cantors Bereichsprinzip und vgl. auch Tengelyi 2014, S. 482). Aber auch die Begriffe der Offenheit des Wesens und der Unvollständigkeit der Eigenschaften, sowohl der Natur als auch der Einzeldinge, werfen Verständnisprobleme auf, weil beide eine Potentialität suggerieren und immer noch eine tatsächliche Unendlichkeit ausschließen wollen, wie oben beschrieben.
1.2 Unendlichkeit der Einzeldinge und kleinste Teilchen
Bezüglich der Unendlichkeit der Einzeldinge hatte Husserl seine potentielle Unendlichkeit auf das Scheitern der Äthertheorie gestützt. Doch auch wenn es keinen Äther gibt, müssen Weltanschauungen, nach denen kleinste Teilchen angenommen werden, genauso in Frage gestellt werden wie nach außen hin geschlossene Weltbilder, weil die Annahme kleinster Teilchen die gleichen existenzielle Probleme (d.h. Probleme des Hintergrunds und Vordergrunds) verursacht. Wenn alles aus kleinsten Teilchen bestehen sollte, könnte alles Existierende auf diese zurückgeführt werden, und es gäbe letztlich nur diese Substanz. Mit Gabriels Sinnfeldontologie ergäbe sich die Frage (Gabriel 2013, 2016): vor welchem Hintergrund sollten sie existieren? Oder mit Heidegger ergäbe sich die Frage nach dem Sein dieser letzten Substanz. Stattdessen muss eine unendliche Teilbarkeit angenommen werden. Wenn man das heutige naturwissenschaftliche Weltbild betrachtet, ist auch dort die Annahme unwandelbarer kleinster Teilchen relativiert worden. Das Wissen über den Kosmos wurde vertieft und das kosmologische Weltbild weiterentwickelt. Es gibt Ergebnisse experimenteller Untersuchungen, die auf eine Wandelbarkeit der Naturkonstanten und damit auf einen Zerfall bestimmter, als konstant angenommener, Elementarteilchen hindeuten (Barrow 2004; Penrose 2011, S. 179), und Modelle, die die beschleunigte Expansion des Universums (für dessen Nachweis 2011 der Nobelpreis in Physik vergeben wurde[4]) mit der Entstehung des Universums und Erkenntnissen aus der Quantenmechanik verbinden. Die gemeinsame Grundlage dieser Modelle ist, dass winzige Raumpunkte zu Bereichen expandieren können, die dann alles enthalten, was wir heute beobachten können, und dass diese Entwicklung von Raum sowohl für den Anfang des Universums, als auch für seine weitere Entwicklung angenommen werden kann. Der Raum weist nach weiterer Expansion wieder Ähnlichkeit zu seinen Anfangsbedingungen auf und durch erneute Expansionen können sich wieder materielle Strukturen bilden (und Pauldrach 2015; Vgl. zu diesen Modellen z.B. die Ausführungen von Penrose 2011). Auch Meillassoux argumentiert in „Nach der Endlichkeit“ für die Notwendigkeit einer insgesamten Wandelbarkeit der Naturkonstanten, gestützt auf die Notwendigkeit der Kontingenz (Meillassoux 2014). Der Raum ist also nicht mehr absolut gedacht, Raum kann alle möglichen Formen annehmen und neuen Raum in Raum bilden. Zusätzlich ergibt sich aus der Problematik einer letzten Ursubstanz, dass die unendliche Teilbarkeit nicht nur eine mögliche Einteilung in Elemente, sondern auch in Qualitäten (Substanzen) hervorruft. Die Raum-Zeit ist nicht von sich aus in klar abgegrenzte Größen, Elemente oder Substanzen zerlegt. Wir definieren bestimmte Bereiche, weil wir in ihnen bestimmte Eigenschaften erkennen, die wir vor dem Hintergrund anderer Möglichkeiten abstrahieren und dann zu Objekten aggregieren. Tengelyi schrieb, dass nach heutigem Wissen die Annahme unendlich vieler Bestandteile materieller Körper unhaltbar sei (Tengelyi 2014, S. 535), aber wie beschrieben, ist der Raum relativ und materielle Körper sind räumliche Bestandteile. Es gibt also immer mehr Hinweise, dass der Raum, und mit ihm die Objekte, qualitativ unendlich teilbar und vergrößerbar sind.
1.3 Größen und qualitative Grenzen in der Raumzeit
Betrachten wir den Begriff der Größen von Objekten näher. Größen beziehen sich immer auf einen Referenzrahmen und betreffen Abschnitte eines eingeteilten, d.h. vorher definierten Bereichs. Sie gehören zu der Einteilung, die für das Objekt vorgenommen wurde und sind keine vordefinierten Einheiten. Dies wird deutlich, wenn man die Formalisierung der Mathematik nutzt, um die Realität zu beschreiben. In der Mathematik kann man Raumabschnitte infinitesimal einteilen. Da diese Einteilung aber immer noch in einem kontinuierlichen Hintergrund stattfindet, können wir Infinitesimalien durch reelle Zahlen ersetzen und in den Zwischenbereichen einzelner reeller Punkte auf der Zahlengeraden können wieder Infinitesimalien gebildet werden. Daran erkennt man wie mächtig dieser kontinuierliche Hintergrund ist. Größen entsprechen somit nur Punkten auf einer Zahlengeraden, die wir beliebig in neue Relationen setzen können. Analog zu Größen sind qualitative Zustände von Bereichen ebenso eine Zusammenfassung auf Grund von bestimmten einheitlichen (gemeinsamen) Eigenschaften, die wir herausgreifen. Beides sind Raum-Zeit-Ausschnitte, also wieder eingeteilte Elemente, und keine vorgegebenen Einheiten. Es gibt keine einheitliche darunter liegende Ordnung in der Welt. Ordnungen und Systeme ergeben sich aus Beziehungen zwischen Bereichen, sind aber keine fundamentalen Eigenschaften. Die zusammenfassende Qualität, die einen Zustand ausmacht (wir können sie auch die Identität eines Objekts, Bereichs oder Systems nennen) ist selbst nicht feststehend oder klar abgegrenzt, sondern ebenso Kontinuum, das zeitlich weitergegeben und dabei verändert wird. Bereiche bestehen aus einem qualitativen Kontinuum, weil stofflichen Grenzen räumliche Grenzen entsprechen würden und beide ihr eigenes Sein bräuchten, das sie definiert. Daher betrachten wir das qualitative (stoffliche) Kontinuum ebenfalls als aktual unendlich (im Sinne des Absolutunendlichen). Egal welche Beziehungen Bereiche untereinander bilden oder welche Formen Bereiche annehmen, ihre Unendlichkeit bleibt bestehen, weil es keine innere Grenze kleinster Teile oder Stoffe gibt.
1.4 Unendlichkeit der Zeit
Betrachten wir nun das Hinzukommen neuer Zustände, also Veränderung in der Zeit. Die Notwendigkeit von Hintergründen durch räumliche Begrenzung muss auf Zeit ebenso angewendet werden, daher ist die Unendlichkeit der Zeit genauso notwenig, wie im Raum. Allerdings bedeutet Ewigkeit Veränderung, weil Zeitpunkte so wie Raumpunkte dadurch existieren, dass sie sich von anderen Punkten abheben, von ihnen verschieden sind. Unwandelbarkeit als Ewigkeit anzusehen ist falsch, weil von einem unwandelbaren Objekt verlangt würde keine zeitliche oder substantielle Veränderung durchzumachen und damit hätte das Objekt keine Vergangenheit und keine Zukunft, also keine Veränderung der Zeitpunkte. Selbst wenn man verlangte, dass es nur keine substantielle, das heißt qualitative, Veränderung durchmacht, so wäre doch allein ein veränderter Zeitpunkt schon Verschiedenheit und damit würde sich das Objekt in jedem Fall wandeln. Problematisch wird es allerdings dann, wenn wir Zeit und damit Veränderung als potentiell unendlich betrachten, also wenn qualitativ neue Zustände als tatsächlich neu hinzukommend betrachtet werden, weil auch hier ein potentielles Voranschreiten ein aktuales Vorhandensein der Möglichkeiten, in die die Veränderung stattfindet, voraussetzen. Zeit kann deshalb nicht potentiell unendlich sein, weil wir keine Wahl haben, ob wir uns ändern, in der Zeit voranschreiten, oder nicht. Zukunft und Vergangenheit sind nicht nur möglicherweise vorhanden, sie kommen nicht hinzu, sondern sind aktual im Jetzt vorhanden, denn Zeitformen entstehen ja gerade durch die Perspektive aus einer anderen Zeitform auf sie. Zeit wartet auch nicht in irgendeinem Meta-Bereich darauf, dass sie Gegenwart werden kann. Wo sollte dieser Metabereich existieren? Sie muss bereits Bestandteil des Vorhandenen sein. Als Metapher betrachten wir einen Fluss (wie den Fluss der Zeit): die Bewegung gehört zum Fluss. Gäbe es nur Gegenwart, würde das absoluten Stillstand bedeuten. Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart sind verschiedene Zeitformen.
Kommen wir zu den unterschiedlichen Möglichkeiten wie sich etwas verändert. Diese gab es auch in der Vergangenheit und gibt es in der Zukunft. Das heißt, Kontingenz ist Bestandteil der Zeit, in dem Sinne, dass sie die Art und Weise ist, wie sich etwas in der Zeit verändert. Für diese Art und Weise gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, denn es gibt keine Vorbestimmung auf einen zukünftigen Zustand und die Art seiner Veränderung, es gibt immer mindestens einen minimalen Spielraum. Da es keine Vorbestimmung auf zukünftige Zustände gibt, sind immer unterschiedliche Möglichkeiten des „Seinkönnens“ vorhanden. Die Möglichkeiten sind nicht potentiell sondern aktual im Zeitfluss enthalten, nicht im Sinne einer Substanz, sondern als das Gegebensein von Möglichkeiten. Die Kontingenz besagt gerade, dass alle Möglichkeiten offen stehen. Für das Eintreten von Möglichkeiten, also die zeitliche Veränderung in eine mögliche Richtung, gibt es dann verschiedene Wahrscheinlichkeiten. Damit wird die Anzahl an vorhandenen Möglichkeiten ebenfalls unendlich, nur das Eintreten einiger ist wahrscheinlicher als das anderer. Da Raum und Zeit zusammenhängen, sind auch die Möglichkeiten der Veränderungen an die Gegebenheiten des jeweiligen Hintergrundes gebunden. Heidegger erkannte diese notwendige Verbindung von Sein, Zeit und Kontingenz. Er schreibt:
„Die Einheit der Bedeutsamkeit, das heißt die ontologische Verfassung der Welt, muß dann gleichfalls in der Zeitlichkeit gründen. Die existenzial-zeitliche Bedingung der Möglichkeit der Welt liegt darin, daß die Zeitlichkeit als ekstatische Einheit so etwas wie einen Horizont hat. Die Ekstasen sind nicht einfach Entrückungen zu… Vielmehr gehört zur Ekstase ein »Wohin« der Entrückung. Dieses Wohin der Ekstase nennen wir das horizontale Schema. […] Die Einheit der horizontalen Schemata von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart gründet in der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit. Der Horizont der ganzen Zeitlichkeit bestimmt das, woraufhin das faktisch existierende Seiende wesenhaft erschlossen ist. Mit dem faktischen Da-sein ist je im Horizont der Zukunft je ein Seinkönnen entworfen, im Horizont der Gewesenheit das »Schon sein« erschlossen und im Horizont der Gegenwart Besorgtes entdeckt. […] Das faktische besorgende Sein bei Zuhandenem, die Thematisierung des Vorhandenen und das objektivierende Entdecken dieses Seienden setzen schon Welt voraus, das heißt, sind nur als Weisen des In-der-Welt-seins möglich. In der horizontalen Einheit der ekstatischen Zeitlichkeit gründend, ist die Welt transzendent. Sie muß schon ekstatisch erschlossen sein, damit aus ihr her innerweltliches Seiendes begegnen kann.“ (Heidegger 2015, S. 365-366)
Das heißt, die zeitliche Einheit aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Verbindung mit den Möglichkeiten des Seinkönnens, bestimmen die Konstitution eines Gegebenen mit. Würde man Möglichkeiten und Zeit als nur hinzukommend betrachten, wären sie in einem Moment der Betrachtung noch nicht vorhanden. Damit wäre in diesem Moment eine Endlichkeit, eine Begrenzung geschaffen, welche durch einen Hintergrund konstituiert werden müsste. Wie Heidegger zeigte, werden Dinge aber gerade auch durch ihren Bezug zur zeitlichen (und möglichen) Veränderung charakterisiert. Weil Zeit und Möglichkeiten verbunden sind, werden in der Zukunft andere Möglichkeiten sichtbar, die in einem gegenwärtigen Moment noch nicht sichtbar waren. Das heißt, Möglichkeiten, die momentan unwahrscheinlich sind, sind es zu einem zukünftigen Zeitpunkt nicht mehr. Insofern hängen Zeit und Kontingenz zusammen.
Hinzu kommt, dass Zeit als relativ betrachtet werden muss, da eine absolute Zeit, die alles auf gleiche Weise einrahmt, die gleichen Probleme verursacht wie ein absoluter Raum, in dem alles geschieht. Mit einer absoluten Zeit würde wieder ein letztes (zeitliches) Objekt geschaffen werden, das alles übrige bestimmt aber selbst nicht bestimmt wird. Stattdessen werden Dinge eben durch ihre Verschiedenheit, auch durch ihre zeitliche Verschiedenheit, zu allen möglichen anderen Dingen definiert. Eine geordnete Einheit, die alles definieren sollte, müsste selbst ihre Ordnung von der übrigen möglichen Unordnung oder von anderen Ordnungen abgrenzen. Deshalb ist auch im Zeitkontinuum jedes Seiende eine Überlagerung aller möglichen Zeiten, da das Zeitkontinuum Bestandteil des Raumkontinuums ist. In der Gegenwart eines Seienden kommt ein räumliches Kontinuum zusammen, das aus unterschiedlichen Vergangenheiten besteht und sich in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt. Denn Raumzeit entwickelt sich nicht geschlossen in eine Richtung, sie ist entropisch. So kann die Gegenwart jedes Seienden zu anderen Seienden mit ihren eigenen Zeiten abgegrenzt werden. Mit der Metapher des Flusses heißt das, dass die Fließrichtung nicht vorgegeben ist (wenn man in dieser Metapher einmal vom „vorwärts“ absieht). Nur die Bewegung gehört zum Fluss, aber für Richtung und Geschwindigkeit bleibt immer ein minimaler Spielraum, für jeden Raumzeitausschnitt den wir betrachten. Da Zeit, wie Raum nicht in Elemente zerlegbar, sondern kontinuierlich ist, ist die Anzahl dieser Richtungen und Geschwindigkeiten unendlich (da unendlich teilbar anstatt unendlich geteilt). Die Mächtigkeit dieser möglichen Entfaltung steckt in jedem Raum-Zeit-Punkt. Qualitative (kontingent-zeitliche) Veränderung eines Seienden kann auf diese Weise als aktual unendlich betrachtet werden, da das lineare Raum-Zeit-Kontinuum diese Mächtigkeit an Möglichkeiten bereithält, sodass sie sich zu den jeweiligen Zeitpunkten entfalten können.
Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage dieses Textes: wenn das Unendliche der Welt als raum-zeitlich aktual unendlich betrachtet werden muss, welche Tiefe weist diese Unendlichkeit dann auf? Welche Mächtigkeit[5] ist dieser Unendlichkeit zuzuschreiben?
2. Die Mächtigkeit des Eidos und des linearen Kontinuums in einer absolutunendlichen Raum-Zeit
Die oben dargestellten Probleme und die daraus resultierenden Konsequenzen fordern die Betrachtung der Einzeldinge und der Natur als aktual unendlich, weil andernfalls Begrenzungen vorgenommen würden, die von etwas begrenzt werden müssten. Nennen wir dies das Prinzip der radikalen Grenzenlosigkeit. Um die Mächtigkeit dieser Unendlichkeit der Natur und der Einzeldinge näher betrachten zu können, müssen wir untersuchen, welche Konsequenzen aus dieser radikalen Grenzenlosigkeit für die Betrachtung der Raum-Zeit folgen. Weiter oben wurde der Begriff des linearen Kontinuums verwendet und kurz beschrieben. Dieser Begriff hatte in der Geschichte und der Philosophie der Mathematik verschiedene Verwendungen.
Wie die Argumentation des Bereichsprinzips oben zeigt, setzt unendliche Teilbarkeit ein aktual Unendliches voraus und kann nicht nur als potentiell begriffen werden, wie Aristoteles schlussfolgerte[6], weil die Teilbarkeit des Eingeteilten nicht an das Vornehmen der Teilungsakte gebunden ist. Jeder Akt der Einteilung ist an das Eingeteilte und damit eine aktuale Unendlichkeit gebunden, damit überhaupt geteilt werden kann. Das Aktuale kann nicht ausgegrenzt werden. Allerdings war die Schlussfolgerung richtig, dass unendliche Geteiltheit eine Zerlegung in Elemente darstellt. Aber diese Zerlegung bereitet wiederum Probleme, weil auch die Reihe der Elemente vor einem Hintergrund existieren müsste, das heißt diese Reihe wieder eine Begrenzung vor dem Hintergrund anderer Reihen, anderer Elemente, darstellen würde. Gäbe es in Raum und Zeit nur die potentielle Unendlichkeit, gäbe es keinen Hintergrund. Jede potentielle Unendlichkeit muss in etwas fortschreiten. Das betrifft Betrachtungen der Welt und mathematische Operationen gleichermaßen. Es gibt, wie Cantor herausfand, unendlich viele Stufen aktualer Unendlichkeiten, die unterschiedlich mächtig sind (Bedürftig and Murawski 2010, S. 278; Rucker 2005, S. 197). Jede aktuale Unendlichkeit kann in einer darüber mächtigeren begriffen werden. Wenn wir diesen Schluss immer weiter anwenden, resultiert daraus, dass die der Teilungsakte vorausgesetzte aktuale Unendlichkeit das Absolutunendliche ist, da es keine letzte Totalität gibt, innerhalb derer alle Einteilungen stattfinden. Wir können das Absolutunendliche mit dem linearen Kontinuum identifizieren. Dazu sei die Geschichte des Begriffs näher erläutert, um diese Identifizierung zu rechtfertigen. In der Mathematik gab es zunächst, zur Zeit Aristoteles‘, das lineare (oder auch klassische, anschauliche) Kontinuum, das mit dem Raum identifiziert wurde, und als linear bezeichnet werden kann, weil es tatsächlich kontinuierlich war und es keine vorgeordneten Bereiche gibt, keine Einteilung in diskrete Elemente. Später gab es dann, ab Cantor bis heute, das Kontinuum, das mit ℝ, der Menge der reellen Zahlen, identifiziert wird. Auch das heutige Kontinuum wird oft als linear bezeichnet, weil es mit der Linie der reellen Zahlengeraden identifiziert wird. Dies sind aber zwei sich widersprechende Linearitäten. Cantors Ziel war es, die aktuale Unendlichkeit zu beweisen (Tengelyi 2014, S. 439), dafür nahm er eine Unterscheidung des Aktualen in drei Bereichen vor: das aktual Absolutunendliche in Gott, das aktual unendliche der Welt und das aktual unendliche in der Mathematik, wobei er das Absolute als nicht vermehrbar vom Transfiniten, als zwar aktual unendlich aber vermehrbar unterschied, und das Transfinite zusätzlich in Realität und Zahl (also in Welt und Mathematik) unterschied (Cantor 1962b; Tengelyi 2014, S. 439-440).. Für ihn wies das Transfinite „mit Notwendigkeit auf ein Absolutes hin“ (Cantor 1962b, S. 405). Es ist mit ihm verbunden und transfinite Operationen, wie auch die Vermehrung oder Erweiterung der Kardinalzahlen unendlicher Mengen, lassen sich nur durchführen, weil für die Durchführung das Absolutunendliche als Grundlage gegeben ist (vgl. das Bereichsprinzip von oben). Durch Cantors Erschaffung der modernen Mengenlehre, wird heute in der Mathematik das Kontinuum mit ℝ identifiziert, was aber eine Entscheidung, keine Notwendigkeit, darstellte und was zur heutigen Kontinuumshypothese führte, die nach der Mächtigkeit von ℝ fragt. Für die genannte Entscheidung gibt es eine eigene Hypothese:
”[…], also eine frühere Kontinuumshypothese. Diese Hypothese lautet sehr kurz: Das Kontinuum ist eine Menge. Diese Annahme wurde bald nach Cantor mathematischer Alltag und ist heute quasi mathematische Tatsache. Beispiel: Man identifiziert gewöhnlich das lineare Kontinuum mit der ‚Zahlengeraden’, die als Menge der reellen Zahlen aufgefasst wird. Dass hier eine Hypothese und ein Problem vorliegt und es anders sein könnte, darüber spricht man kaum. In den Lehrbüchern geht man von dieser Hypothese aus, geht gewöhnlich über das Problem hinweg, […]. – Wir müssen das alte, ‚klassische’ oder ‚anschauliche’ Kontinuum vom neuen Kontinuum der reellen Zahlen unterscheiden.“ (Bedürftig and Murawski 2010, S. 156)
Das klassische oder anschauliche Kontinuum ist das Kontinuum, das wir hier als das lineare Kontinuum beschreiben (ohne die antike Annahme, dass es potentiell unendlich sei). Der Begriff der Linearität wird hier also als ‚alle Bereiche in gleicher Weise betreffend‘ oder ‚proportional zusammenhängend‘ verwendet und nicht als die Linie der Zahlengeraden. Für Cantor war diese Unterscheidung noch präsent, denn für ihn war das Transfinite notwendig mit dem Absoluten verbunden. Die heutige Identifikation des Kontinuums mit der Menge der reellen Zahlen ist also nur ein Vergessen des linearen Kontinuums im Hintergrund. Die moderne Mengenlehre hat aber gezeigt, wie mächtig das Kontinuum ist, sie hat also auf die Tiefe dieser Unendlichkeit hingewiesen, indem sie zeigte, dass immer neue, mächtigere Mengen benannt werden können. „Erst die reellen Zahlen und die Mengenlehre in ihrem Hintergrund machten es möglich, im anschaulichen Kontinuum verborgene Eigenschaften des Kontinuierlichen mathematisch zu erfassen“ (Bedürftig and Murawski 2010, S. 4). Wir sehen also, dass sowohl das Potentielle mit dem Aktualen, als auch jedes Aktuale (wenn man die oben beschrieben Unterscheidungen in Mathematik und Welt vornimmt), mit dem Absolutunendlichen verbunden ist. Sie lassen sich ontologisch nicht von einander trennen, nur in der Anschauung nehmen wir Unterscheidungen vor. Das bedeutet, dass jegliche Bereiche von Raum, Zeit, Möglichkeiten und Beschaffenheiten nicht neu hinzukommen. Nicht im Sinne eines schon vorhandenen Determinismus, sondern im Sinne einer Mächtigkeit, die Möglichkeiten und Zeiten beinhaltet, die sich beliebig entfalten können. Sie müssen vorliegen, damit wir überhaupt anschaulich operieren können und damit sich überhaupt in Zukunft etwas entfalten kann. Das heißt für die Verwendung der Begriffe Offenheit und Unvollständigkeit, dass sie erstens nicht als potentiell verstanden werden können, weil es die potentielle Unendlichkeit ontologisch nicht geben kann, es zweitens aber auch keine Forderung nach Abgeschlossenheit geben kann, weil hier eine Totalität der Teile inbegriffen wäre. Es muss also eine offene Unendlichkeit sein, die weder potentiell (also ohne hinzukommende Bereiche), noch in Elemente eingeteilt ist, und in der die Unendlichkeit der Welt (und als Operationen in ihr auch die Unendlichkeit der Mathematik) mit dem Absolutunendlichen zusammenfallen, da jede andere Unendlichkeit, die noch eine Form der Strukturierung aufweist, eine Projektion in das Kontinuum wäre.
Seit Husserls Betrachtungen des ‚allseitig unendlichen Erscheinungskontinuums‘ ist das Wissen über die Natur und die Welt, aber auch über das Wesen der Mathematik stetig erweitert worden. Es gibt, nach dem Scheitern der Äthertheorie, viele neue Erkenntnisse aus Kosmologie und Quantentheorie über die Beschaffenheit des Universums und der Einzeldinge, die auch für das Wesen der Unendlichkeit in Betracht gezogen werden müssen. Zur Lebzeit Einsteins, noch bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts, wurde angenommen, dass das gesamte Universum aus unserer Galaxie besteht. Wissen über andere Galaxien und die Dynamik des Universums ist hinzugekommen. Man hat Methoden entwickelt, um das Universum immer weiter und genauer zu vermessen. Genauso wurde die Mathematik um immer mehr Bereiche erweitert (einen guten Überblick über die Zusammenhänge der mathematischen Bereiche und ihre stetige Erweiterung liefert Löffler (2019, S. 730)).
2.1 Der Zusammenhang zwischen Raum, Zeit und Kontingenz als Übereinstimmung mit dem Absolutunendlichen
Wenn Raum, Zeit und Kontingenz miteinander zusammenhängen, wie ist dieser Zusammenhang zu begreifen? Durch Zeitpunkte und Raumpunkte sind wir daran gewöhnt Raum und Zeit in Elemente zu zerlegen, und sie außerdem einzeln, getrennt von einander und von bestehenden Möglichkeiten zu betrachten. Zusammenhängend betrachtet wird diese Unendlichkeit zu der von Nikolaus von Kues beschriebenen, der Unendlichkeit mathematischer Gegenstände gegenübergestellten, absoluten Unendlichkeit, die er die „absolut einfache Unendlichkeit“ (infinitum simplex absolutum) nennt (von Kues 2002, S. 46). Von Kues‘ absolut einfache Unendlichkeit stellt in sich selbst schon eine unendliche Wirklichkeit dar, indem sie, anders als die Unendlichkeit der mathematischen Objekte, auf keine Verwirklichung von Möglichkeiten angewiesen ist (Tengelyi 2014, S. 479), sondern diese schon enthält, das heißt sowohl die Möglichkeiten, als auch die Zeit. Wenn wir Raum, Zeit und Möglichkeiten (Kontingenz), allein betrachten wollen, tun wir dies immer schon in einer Art real-virtueller Ebenen, die wir einzeln betrachten können, die aber eigentlich aktual ineinander existieren. Wenn wir nun nach der Mächtigkeit des linearen, raumzeitlichen Kontinuums fragen (und den Begriff der Mächtigkeit nicht als die Anzahl der Elemente einer Menge begreifen, wie dies in der Mathematik definiert ist), kommen wir zum Absolutunendlichen von Nikolaus von Kues. Genauso wie im Bereichsprinzip Cantors das potentiell Unendliche das Aktuale voraussetzt, wird für jede zeitliche, mögliche oder räumliche Anschauung das tatsächliche Vorhandensein dieser Bereiche vorausgesetzt. Das Absolutunendliche muss daher in der Welt sein und kann nicht, wie noch bei Cantor und von Kues, von ihr oder der Mathematik getrennt sein. Es muss auf die Welt und die Mathematik übertragen werden, damit wir Betrachtungen, Einteilungen und Unterscheidungen in unserer Anschauung überhaupt vornehmen können. Wenn wir Dinge in einzelnen Ebenen betrachten, z.B. nur zeitlich, räumlich oder in Bezug zu ihren Möglichkeiten, so sind diese Ebenen nur eine Beschreibung, eine Art und Weise wie wir eine kontingente Raum-Zeit begreifen können. Bei jeder Betrachtung eines Gegenstands beziehen wir uns auf einen bestimmten Ausschnitt, weil dieser Ausschnitt der Hintergründe den Gegenstand erst hervortreten lässt und seine Gestalt ihn erst in unserer Erkenntnis zum Gegenstand macht. Wir betrachten ihn beispielsweise in seiner momentanen Verfassung (zeitliche Ebene), in Bezug zu bestimmten anderen Gegenständen (räumliche Ebene) oder in Bezug zu vorhandenen oder nicht vorhandenen Möglichkeiten (kontingente Ebene). Dabei gibt es unendlich viele Überschneidungen der Ebenen, in denen Bezug genommen werden kann und in deren unterschiedlichen Verbindungen wir Gegenstände betrachten können. Würden wir keinen Ausschnitt in Raum, Zeit und Möglichkeiten für unsere Betrachtung vornehmen, könnten wir den Gegenstand nicht mehr als Gegenstand identifizieren, er würde sich in der Unendlichkeit der Hintergrundinformationen auflösen. Denn würden wir den raumzeitlichen Rahmen der Betrachtung eines Gegenstands immer weiter ausdehnen, würden auch immer mehr Eigenschaften hinzukommen, wodurch der Gegenstand, durch diese Unendlichkeit der Eigenschaften nicht mehr benannt werden könnte. Es gibt keine definierte, begrenzte Anzahl von Betrachtungsebenen, sie sind auch nicht von vornherein klar abgegrenzt voneinander, weil der Radius, in dem wir etwas von seinem übrigen Hintergrund abgrenzen, in unserer Anschauung von uns definiert wird. Sie sind eine Ordnungsprojektion, die wir vornehmen, um etwas in raumzeitlichen Relationen benennen und von anderen Dingen abgrenzen zu können. Durch unsere Anschauung oder sprachliche Benennung wird eine Trennung in einzelnen Ebenen erst vorgenommen. Kontingenz, Raum und Zeit liegen aber ineinander, wodurch sie überhaupt erst die Möglichkeit der Abgrenzung eines zeitlichen Moments, eines bestimmten Orts, oder des Vorhandenseins von Möglichkeiten zur Weiterentwicklung in einem bestimmten zeitlichen Rahmen, bilden. Trotz dieser sprachlichen Abgrenzungen einzelner Ebenen liegen diese aber immer konsistent ineinander, denn Momente, Orte und Möglichkeiten beziehen sich immer auf die jeweilig anderen Ebenen. Sie bilden ineinander das lineare Kontinuum. Diese konventionelle Teilung in einzelne Ebenen hat Einfluss auf unser Verständnis der Raumzeit. Betrachten wir die Verbindung der einzelnen Ebenen zu den jeweilig anderen genauer, indem wir Beispiele heutigen Wissens über die Natur, z.B. aus Kosmologie und Quantentheorie, mit einbeziehen.
2.1.1 Raum
Nach der obigen Argumentation wurde eine Betrachtung des Raums als lineares Kontinuum gefordert. Wenn wir Gegenstände betrachten, sind dies Raum-(Zeit)-Ausschnitte, die wir vor einem Hintergrund abgrenzen und auf Grund einer gemeinsamen Gestalt zu einem Objekt zusammenfassen, also wieder eine vorgenommene Einteilung und keine vorgegebene Einheit. Zur Veranschaulichung betrachten wir kurz unsere konventionelle Verwendung des Begriffs der Energie. Der Begriff wurde 1800 von Thomas Young in die Mechanik eingeführt und sollte die Stärke bestimmter Wirkungen angeben (Eisler 1904). Was wir mit Energie bezeichnen, ist aber letztlich nur eine bestimmte Substanzform, die wir betrachten. Denn verschiedene Energieformen können ineinander umgewandelt werden, wobei die Summe der Energiemengen über die Energieumwandlung hinweg stets die gleiche ist. Nun besitzt aber ein bestimmter Gegenstand (oder eine Substanz), beispielsweise ein Stück Holz, auch Energie innerhalb seiner Atome. Wenn wir die Energie benennen, die wir durch Verbrennung in Wärme umwandeln können, wird die mit beinhaltete Energie der Atome aber nie beschrieben. Das heißt, unser Energiebegriff bezieht sich auf bestimmte Eigenschaften einer Substanz und auf bestimmte Umwandlungen in andere Formen, nicht aber auf alle möglichen. Die Mächtigkeit der Möglichkeiten einer Substanz, auch diejenigen, die sie zukünftig irgendwann einmal aufweisen wird oder früher einmal hatte, wird in unserer Benennung gar nicht berührt. Wenn wir das momentane physikalische Weltbild betrachten, in dem die materielle Welt aus einem Quantenvakuum entstanden sein soll, kann man sagen, dass quantenmechanische Effekte irgendwie noch in den materiellen Zuständen untergeordnet eine Rolle spielen müssen (Krauss 2012)[7], nur ist es eben falsch einen solchen Quantenzustand als Ursubstanz anzusehen, aus der dann wieder und wieder alles entsteht. Denn dann wären wir wieder bei einer unter allen Erscheinungen liegenden einheitlichen substanziellen Ordnung, aus der alles besteht, von der aber verlangt würde, dass sie selbst kein außerhalb, keinen Entstehungshintergrund hätte. Ebenso wird innerhalb verschiedener Quantentheorien angenommen, dass der Raum nicht kontinuierlich, sondern diskret, nämlich gequantelt, sein soll (Spektrum.de 2011; Tillemans 2003). Bei dieser Annahme wird der Raum mit seiner diskreten Struktur als absolut angesehen und nicht als relativ, denn es gibt wieder eine Einteilung in Elemente oder eine zusammenhängende räumliche Struktur, die vor keinem weiteren räumlichen Hintergrund erscheinen soll. Ohne diesen könnte sie aber nicht existieren. Zudem ist bei dieser Annahme auch die Festsetzung auf eine bestimmte Größe (die Planck-Skala) problematisch, wie die obige Argumentation zu Größen gezeigt hat. Das Quantenvakuum kann also auch nicht als stofflicher Endzustand betrachtet werden, sondern nach der Notwendigkeit der radikalen Grenzenlosigkeit müsste es unendlich viele Quantenzustände geben, die wiederum aus anderen Zuständen (Raumstrukturen) hervorgehen, weil jeder Zustand die Hintergründe der möglichen Substanzen, der Zeit und der Raumstrukturen benötigt, um existieren zu können.
Durch die Betrachtung des Raumes als lineares Kontinuum ergibt sich mit der unendlichen Teilbarkeit und der Relativität von Größen (siehe Abschnitt 1.3) auch ein Perspektivwechsel was die Hintergründe betrifft, vor denen ein Gegenstand erscheint. Gegenstände erscheinen nicht nur vor einer Vielfalt unendlicher Hintergründe, sondern ihre Gestalt tritt auch in Abgrenzung zu dem hervor, was sie räumlich beinhalten. Dieser Inhalt muss mit der unendlichen Teilbarkeit und der Relativität von Größen ebenfalls unendlich sein, er ist also eine Unendlichkeit an Vordergründen. Aus diesem Grund kann das linearen Kontinuum als das Absolutunendliche beschrieben werden.
2.1.2 Kontingenz
Betrachten wir die Ebene der Kontingenz der Veränderung und wenden das Prinzip der radikalen Grenzenlosigkeit an, dann müssen unendlich viele Möglichkeiten als Bestandteil der Gegenstände verstanden werden. Beschränken wir uns bei der Betrachtung eines Gegenstandes wieder auf einen bestimmten raumzeitlichen Ausschnitt, so gibt es für jede Veränderung bestimmte hohe oder niedrige Wahrscheinlichkeiten (nennen wir dies positive und negative Möglichkeiten) wie sich etwas verändert oder nicht. Lösen wir die zeitliche Dimension dieses Ausschnitts auf und lassen sie unendlich werden, so bekommen bestimmte unwahrscheinliche Möglichkeiten der Veränderungen eine höhere Wahrscheinlichkeit. Genauso betrifft dies den räumlichen Radius und die Wahrscheinlichkeit der Veränderung hin zu bestimmten Zuständen. Wenn wir einen größeren Raumausschnitt betrachten wird es wahrscheinlicher, dass eine Veränderung, ein Ereignis eintritt. Möglichkeiten sind also aktual in ihrer unendlichen Vielfalt gegeben, wenn auch mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten der Veränderung in Bezug zu räumlichen oder zeitlichen Bereichen. Wir haben sie oben schon als Anteile der Zeit beschrieben. Durch jede Realisierung eines Zustands bekommen andere Möglichkeiten eine andere Positionierung in Bezug zu ihrer weiteren Veränderung. Jedes Mögliche ist so mit dem Wirklichen für irgendeine Zeit verbunden. Diese Folgerungen wurden in der Formulierung der Quantentheorie von Hugh Everett das erste mal beschrieben (Everett 1956). Es gibt verschiedene Interpretationen der Quantentheorie (oder verschiedene Theorien), die allerdings einen fundamentalen Unterschied in Bezug zur Realität aufweisen und sich in zwei grobe Kategorien einteilen lassen. In den meisten Interpretationen der Quantenmechanik spielt die Beobachtung eines Zustands die größte Rolle, sie entscheidet darüber ob sich diverse Möglichkeiten in Realitäten aufspalten, oder nicht. Das ist die Kopenhagener Deutung, aus der sich verschiedene Varianten ergeben. Die Everett-Interpretation, als Gegenstück, wird in den meisten Zusammenfassungen falsch wiedergegeben, indem ebenfalls eine Aufspaltung der Realitäten in verschiedene Möglichkeiten beschrieben wird, hervorgerufen durch die Beobachtung. Dabei spielt die Beobachtung in Everetts Interpretation gar keine Rolle, die Wellenfunktion (der Quantenmechanik) kollabiert niemals, das heißt alle möglichen Zustände existieren parallel im Sinne eines ineinander, da sich die Zustände eben nicht aufspalten.[8] Der fundamentale Unterschied in Bezug zur Realität ist der, dass in der Kopenhagener Deutung die Quantentheorie vor allem als Werkzeug verstanden wird und sie gar nicht zur Realitätsbeschreibung herangezogen wird, obwohl oft Schlussfolgerungen aus ihr in Bezug zur Realität gezogen werden. Bei Everett geht es hingegen um die Konsequenzen, die die Quantentheorie für die Realität hat (Deutsch 2002, S. 53-56; und insgesamt Deutsch 2011). Alle Möglichkeiten sind mit dieser Betrachtung unendlichfach gegeben, weil sie durch nichts begrenzt sind. Es ist nicht vordefiniert, wie sich etwas über alle möglichen Zeiten hinweg verändert (siehe hierzu auch Meillassoux 2014).
2.1.3 Zeit
Bei früheren physikalischen Weltmodellen (vom geozentrischen Weltbild bis zur Steady-State-Theorie vor der Entdeckung der Expansion des Universums) wurde ein statisches Universum bevorzugt. Da aber Zeit zum Raum gehört und durch das Bereichsprinzip und damit das Prinzip der radikalen Grenzenlosigkeit auch für Zeit gefordert wird, dass sie weder potentiell vorhanden, noch in feststehende Elemente eingeteilt oder ein einziger alles definierender übergeordneter Rahmen sein kann, sind mit jedem Raumpunkt alle möglichen verschiedenen Zeiten verbunden. Da auch der Raum nicht absolut ist, können wir unterschiedliche Zeiten als Zeit-Rahmen, oder als verschiedene Strukturen oder Abfolgen von Veränderung betrachten, für die es verschiedene Möglichkeiten auf Grund fehlender Vorbestimmung von Abfolgen oder Einteilungen in Zeit-Abschnitte gibt. Das heißt, für Zeit wird ebenso eine Betrachtung als aktual absolutunendlich gefordert. Das Bereichsprinzip zeigt uns, dass Zeitpunkte wie Raumpunkte, einen Hintergrund brauchen vor dem sie existieren können, also einen Bereich, aus dem sie eingeteilt werden. Ein einziger einheitlicher Zeit-Rahmen wäre wie ein absoluter Raum ein einheitliches Objekt, von dem verlangt würde, dass es ohne Hintergrund bestehen sollte, dessen Existenz so aber ohne Hintergrund nicht bestehen könnte. Wenn also in jedem Raumpunkt Zeiten und Möglichkeiten mit angelegt sind, dann muss Veränderung auch von diesen Punkten ausgehen, es verändern sich nicht nur einzelne übergeordnete Systeme. Roger Penrose hat in seinem Modell der Zyklen der Zeit die Entropiezunahme des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik zur Herausbildung neuer räumlicher Strukturen in Verbindung gesetzt (Penrose 2011). Systeme, die auf großen Skalen hohe Entropie aufweisen, sind auf kleinen Skalen betrachtet sehr gleichförmig, also im Zustand niedriger Entropie. Daraus folgt, dass unser zukünftiges Universum in einem späten Zustand hoher Entropie die gleichen Eigenschaften aufweist wie kleine Bereiche im Anfangszustand des Urknalls, nämlich gleichförmig im Zustand niedriger Entropie, und so immer wieder neue Universen aus dem bestehenden entstehen können.
2.2 Die Mächtigkeit des Eidos
Was folgt aus diesen Betrachtungen für die Mächtigkeit des Eidos, für die Unendlichkeit der Natur und der Einzeldinge? Wenn wir das bestimmte Wesen eines Gegenstands durch Husserls eidetische Variation (Husserl 1999, S. 410-413) erkennen, so abstrahieren wir von der Gestalt und seinen kontingenten Eigenschaften eines Gegenstands zu den ihm typspezifischen Eigenschaften (Husserl 1999, S. 395), die sein Wesen ausmachen. Dieses Wesen des Gegenstands ist aber gerade durch diese typspezifischen Eigenschaften, immer noch bestimmt, denn sie definieren ihn als Teil einer thematischen Kategorie. Die Anzahl der möglichen thematischen Bestimmungen, in denen wir etwas betrachten können, ist unendlich (Husserl 1999, S. 251), somit werden dann im Allgemeinsten auch die Eigenschaften unendlich (Husserl 1999, S. 395, 429-436).[9] Damit hat dieses bestimmte Wesen selbst wieder eine Gestalt, die durch ihre Beziehungen zum kategoriellen Hintergrund definiert wird. Wenn wir aber die Mächtigkeit des Eidos an sich betrachten wollen, fragen wir nach dem Wesen jedes Seienden an sich (einer „oberste[n] Allgemeinheit als der universalsten und freiesten“ (Husserl 1999, S. 442)). Wir lassen dann diese spezifischen Kategorien fallen und das Wesen verliert seine bestimmte Gestalt, weil „das All der freien Möglichkeiten […] ein Reich der Zusammenhanglosigkeit“ ist (Husserl 1999, S. 431). Es erhält aber statt dessen unendlich viele und unbestimmte Gestaltmöglichkeiten/-varianten, weil in diesem All der freien Möglichkeiten „jede herausgegriffene Möglichkeit zugleich die Idee eines Alls zusammenhängender Möglichkeiten“ (Husserl 1999, S. 431) bezeichnet. Das bedeutet, dass diese Unendlichkeit der Zusammenhanglosigkeit eine Unendlichkeit an möglichen Zusammenhängen bereithält. Deshalb kann die Mächtigkeit des Eidos als absolutunendlich angesehen werden und das Wesen des Seienden fällt mit dem Wesen seiner Voraussetzungen (des Seins) zusammen. Wäre die Mächtigkeit des Eidos nur transfinit unendlich, wäre es immer noch strukturiert und damit eine Ordnung und Einschränkung innerhalb des Kontinuums. Auch wenn wir im Transfiniten immer höhere Stufen von Unendlichkeiten (transfinite Kardinalzahlen) bilden können, so besteht das Transfinite immer noch auch Elementen, die eine Projektion ins Kontinuum darstellen. Das Kontinuum ist mächtiger. Wäre die Mächtigkeit nur transfinit unendlich, so müsste es einen Grund für diese Reduktion geben, irgendein ordnendes Prinzip, das diese Ordnung herstellt und die transfinite Unendlichkeit vom Kontinuum abhebt. Da es sich aber, auch bei Husserl, durch die Offenheit um ein Kontinuum handelt, liegt keine Strukturierung oder Reduktion vor. Auch Husserl weicht von seiner früheren Annahme der transfiniten Unendlichkeit und damit Abgeschlossenheit der Welt zu Gunsten einer mächtigeren Offenheit ab: „Besagt die ‚Unendlichkeit‘ der Welt statt einer transfiniten Unendlichkeit (als ob die Welt ein in sich fertig seiendes, ein allumfassendes Ding oder abgeschlossenes Kollektivum von Dingen wäre, das aber eine Unendlichkeit von Dingen in sich enthalte), besagt sie nicht vielmehr eine ‚Offenheit’?“ (Husserl 1952, S. 299). Das heißt mit Heideggers Erkenntnis, das Wesen des Seienden ist selbst Sein, weil jedes Seiende aus allem bestehen kann und alles beinhaltet. Denn: das Seiende wird nicht nur durch außen, sondern auch durch innen heraus konstituiert, und sowohl Hintergründe und Vordergründe als Voraussetzungen jeder Existenz, als auch das Seiende selbst in seinem raumzeitlichen Ausmaß sind absolutunendlich. Zur Veranschaulichung betrachten wir das Wesen von Punkten. Was sind Punkte – Raumpunkte und Zeitpunkte?
„Das anschauliche Kontinuum ist gerade dadurch charakterisiert, dass es Teile hat und die Teile bei jeder Teilung wieder Kontinua sind. Punkte, die keine Teile haben, sind die Repräsentanten des Diskontinuierlichen, das dem Kontinuierlichen gegenübersteht. Sie können nur Diskontinuierliches bilden. Punkte erscheinen in der Teilung nur als Grenzen von Kontinua und haben in dieser Auffassung gar keine eigenständige Existenz. Und es ist in dieser Auffassung undenkbar, dass gerade diese Punkte, deren Existenz von den Kontinua abhängt, eben diese konstituieren sollen. Das Teilende wurde das Geteilte. Wir haben grundsätzlich eine atomistische Auffassung, wenn wir Raum und Zeit als Mengen von Punkten ansehen, wenn Raum oder Zeit in getrennte Elemente zerfällt. Sie wird aus der atomistischen Auffassung der Materie in die Kontinua übertragen und ist uns deshalb so vertraut. Die Wirkung ist die: Das Kontinuum wird im Prinzip diskontinuierlich.“ (Bedürftig and Murawski 2010, S. 157)
Wenn wir das Wesen des Seienden in irgendeiner Dimension begrenzen, kann ihm nur etwas diskontinuierliches entsprechen, und dann könnte es nicht existieren. Denn dann würden diese Begrenzungen wie Punkte in der Teilung als Grenzen von Kontinua erscheinen und in dieser Auffassung keine eigenständige Existenz besitzen. Begrenzte Eigenschaften von Gegenständen sollen die Existenz von Gegenständen mitbestimmen, wie atomistische Punkte das Kontinuum, können selbst aber nicht existieren, da sie keinen weiteren inneren Hintergrund besitzen. Es ist eben undenkbar (und unmöglich), dass gerade diese Punkte oder Eigenschaften, deren Existenz von den Kontinua abhängt, diese konstituieren sollen. Durch die Identifikation des Kontinuums mit ℝ wurde das Kontinuum atomistisch, diskret (in einer Übertragung auf die Raumzeit gequantelt). Als Beispiel betrachten wir die irrationalen Zahlen: das Vollständigkeitsaxiom postuliert, dass sie Zahlen sind, die wie Punkte aufgefasst werden können. In Wirklichkeit sind sie unendlich, der Punkt einer irrationalen Zahl existiert nicht (Bedürftig and Murawski 2010, S. 14-22). Das Kontinuum bleibt daher weiterhin kontinuierlich, da atomistische Punkte, ohne eigene Existenz das Kontinuum nicht konstituieren können. Wenn wir also die Voraussetzungen der Existenz der Natur und der Einzeldinge betrachten, stoßen wir auf eine Unendlichkeit an bestimmenden Hintergründen (und Vordergründen), die wir nach außen und nach innen hin betrachten müssen. Bei Husserl ist es „nicht das bloße Bewusstsein von der offenen Endlosigkeit“ der möglichen Erfahrung und die damit verbundene Iteration, die diese „Verunendlichung“ erzeugt, sondern die „Entdeckung des mathematischen Kontinuums“. Es ist „die ‚Evidenz des Kausalgesetzes‘ als Apriori der unendlichen Welt.“ (Husserl 1993, S. 143; und Breuer 2019, S. 555)
Wenn wir die Tiefe dieser Unendlichkeit betrachten, zeigt sich mit den Erkenntnissen der Philosophie der Mathematik, dass im linearen Kontinuum alles (jeder herausgegriffene Ausschnitt) selbst aktual absolutunendlich ist, nämlich als zusammenhängende Raum-Zeit mit dem Vorhandensein eines beliebigen Seinkönnens. Denn das Wesen der Natur und der Einzeldinge kann nicht in Abschnitte, Qualitäten oder Eigenschaften eingeteilt sein, die in einem Moment noch nicht bestehen und in einem zukünftigen hinzukommen. Sie müssen in jedem Zeitpunkt vorhanden sein, da sie sonst diskontinuierlich wären, dann aber wiederum ohne Hintergrund nicht existieren könnten. Die Offenheit der Unendlichkeit besteht auf diese Weise nur noch darin, dass es keine Ganzheit gibt, sondern alles unendlich ist. Es besteht eine Unvollständigkeit und Offenheit darin, dass es keine vollständige Anzahl an Elementen gibt, aber nicht im Sinne eines Anwachsens oder Hinzukommens. Gabriel schreibt:
„[…] die Unvollständigkeit der Sinnfelder und die konstitutive Offenheit des Entstehens, Vergehens, Verschmelzens und Verschiebens machen es von vornherein sinnlos, sie in ein einziges System zu integrieren, das man dann in lokale Strukturen einteilen könnte, indem man Operationen vornimmt, die zu problematischen vollständigen Disjunktionen führen. Viele Sinnfelder sind ontologisch vage, offen und unterliegen Bedingungen des Wandels, die man nicht dadurch in den Griff kriegt, dass man transzendentale (das heißt apriorische) Rahmenbedingungen postuliert. […] Viele Sinnfelder sind hybride Verschmelzungen aus anderen Sinnfeldern und diese Ordnung kann nicht a priori antizipiert werden.“ (Gabriel 2016, S. 347-348)
Die Unvollständigkeit und konstitutive Offenheit bezieht sich eben auf das Fehlen einer abgeschlossenen Ganzheit und einer ordnenden Struktur. Dies beschreibt auch Tengelyi mit der offenen Unendlichkeit Husserls, wobei dieser Begriff dort aber noch deutlich mit dem Potentiellen vermischt (Tengelyi 2014, S. 544-548) wird, weil es um ein Hinzukommen neuer Eigenschaften geht und auf das aktuale Bestehen dieser Eigenschaften als Möglichkeiten und zukünftige Eigenschaften nicht Bezug genommen wird. Weder können Raum, noch Zeit oder Möglichkeiten hinzukommen und auf diese Weise in gegenwärtigen Momenten etwas diskontinuierliches bilden, denn sie müssen schon vorhanden sein, damit sich überhaupt etwas verändern kann. Bei Tengelyi zudem die offene Unendlichkeit deutlich vom Absolutunendlichen unterschieden, weil er das Absolutunendliche mit einem absoluten Maxiumum identifiziert (Tengelyi 2014, S. 544-548). Wie wir aber gesehen haben, gibt es kein Maximum, da es eine abgeschlossene Ganzheit bilden würde. Das Absolutunendliche entzieht sich jeder abschließenden Strukturierung, wie von Kues und Cantor schon herausgestellt haben. Bei jeder Betrachtung der Unendlichkeit als Unvollständigkeit und Offenheit müssen wir das Bereichsprinzip Cantors einbeziehen und können sie nicht zu einer Unendlichkeit des Potentiellen machen. Wir müssen alle Möglichkeiten des Wandels, und den Wandel selbst, als aktual gegeben ansehen. Das Absolutunendliche ist der offene Bereich, in dem alle Möglichkeiten zur Veränderung gegeben sind – der Natur und den Einzeldingen immanent. Es ist das lineare Kontinuum, in dem jeder betrachtete Punkt selbst absolutunendlich ist, weil Teilbarkeit in Raum, Zeit und Möglichkeiten kontinuierlich fortschreitet. Aus potentiellen Betrachtungen im Unendlichen darf nicht auf sein ontologisch potentielles Gegebensein geschlossen werden, aber genauso wenig auf die Unmöglichkeit der Erkenntnis des Absolutunendlichen. Da bei Cantor und von Kues das Absolutunendliche noch aus der Welt und der Mathematik ausgegrenzt wurde, wurde angenommen, dass „das Absolute […] nur anerkannt, niemals erkannt […] werden“ (Tengelyi 2014, S. 440) kann. Diese Annahme beinhaltet aber, dass wir nur begrenzte Elemente erkennen können. Wenn wir Gegenstände betrachten, können wir uns aber auch auf die Bedingungen ihrer Existenz beziehen und erkennen so das Absolutunendliche als kontinuierliche Eigenschaft der Dinge, als welt- und gegenstandsimmanent. „Wir müssen die Endlichkeit nicht überschreiten, um das Absolute zu erfassen. Denn wir erfassen das Absolute […] auch dadurch, dass wir Gegenstände aus einer bestimmten beschränkten Perspektive erfassen“ (Gabriel 2016, S. 437-438). Nur weil wir uns in endlichen Gebieten bewegen, müssen wir daraus nicht auf die Endlichkeit des Gegebenseins der Welt, der Möglichkeiten oder der Zeit schließen. Ihre Unendlichkeit ist ja gerade die Voraussetzung dafür, dass wir uns überhaupt in ihnen bewegen können.
Referenzen
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[1] An einigen Stellen wird das Transfinite als potentielle Unendlichkeit interpretiert, wie z.B. (Breuer 2019, S. 558). Für Cantor ist das Transfinite aber ausdrücklich eine aktuale Unendlichkeit, auch wenn sie vermehrbar ist (Cantor 1962b, S. 405). „In seinen Werken entwickelte Cantor eine Theorie der transfiniten Ordinalzahlen und mit Hilfe des Begriffs der Gleichmächtigkeit führte er den Begriff der Mächtigkeit einer Menge und die Hierarchie der transfiniten Kardinalzahlen ein.“ (Bedürftig and Murawski 2010, S. 70; Cantor 1962a, S. 378) Das heißt, es gibt unendlich viele Stufen von immer mächtigeren Unendlichkeiten, bei denen aber jede einzelne eine aktuale Unendlichkeit darstellt.
[2] Siehe zu den unendlich vielen Stufen aktualer Unendlichkeiten Abschnitt 2.
[3] Der Begriff des Kontinuums in seinem unterschiedlichen Gebrauch wird weiter unten näher erläutert und wird hier zunächst als Raumzeit-Kontinuum begriffen, das die Eigenschaften des Nicht-diskreten und der Linearität, also die Gleichberechtigung oder Gleichmächtigkeit aller Bestandteile, aufweist.
[4] Der Nobelpreis in Physik wurde 2011 an Saul Perlmutter, Brian P. Schmidt, Adam G. Riess für den Nachweis der beschleunigten Expansion des Universums vergeben.
[5] Hier sei schon vorweg genommen, dass im mathematischen Sinne Mächtigkeit die Anzahl der Elemente einer Menge beschreibt, und dass hier deshalb dieser Begriff, wie wir später sehen werden, nur als Gedankenexperiment auf das lineare Kontinuum übertragbar ist.
[6] Vgl. (Tengelyi 2014) S. 495: „Für Aristoteles – wie später für Kant – ist das Kontinuum ein Ganzes, das seinen Teilen vorgeordnet ist. Die Teile des Kontinuums sind demnach dem Ganzen nicht vorgegeben, sondern sie entstehen durch Ausgrenzung aus ihm. Das ist der eigentliche Grund dafür, dass die aristotelische Auffassung von der unendlichen Teilbarkeit die Annahme des Aktual-Unendlichen ausschließt.“
[7] Als Beispiel für dieses Weltbild sei hier Das Universum aus dem Nichts von Krauss (2012) genannt, bei dem es darum geht, dass unser materielles Universum aus dem Quanten-Vakuum (als Nichts benannt) entstanden ist und wieder zu diesem werden wird, um sich danach in andere materielle Erscheinungen unendlich weiter zu entwickeln.
[8] Vgl. hierzu die Ausführungen von (Tegmark 2014) S. 186-187 und die Dissertation von Hugh Everett, die online hier zu finden ist: (Everett 1956)
[9] Vgl. hierzu Streubel (2015, S. 162): „Worauf es bei der eidetischen Variation vor allem ankommt, ist, dass die Variation ’im Bewusstsein des ‚und so weiter nach Belieben‘‘ vollzogen wird. ’Dadurch allein ist gegeben, was wir eine ‚offen unendliche‘ Mannigfaltigkeit nennen; evidenterweise ist sie dieselbe, ob wir langehin erzeugend oder beliebig Passendes heranziehend fortschreiten, also die Reihe wirklicher Anschauungen wirklich erweitern, oder ob wir schon früher abbrechen.‘ [(Husserl 1999, S. 413)] Es ist natürlich klar, dass die Variation de facto immer nur eine endliche sein kann. Deshalb ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein, dass der Umfang des Eidos (auch jener der eidetischen Singularitäten) in Wahrheit unendlich ist. Aber diese Unendlichkeit lässt sich selbst wiederum durch eidetische Variation, trotz deren notwendig finiten Gestalt, erfassen.‟