Die absolute Unendlichkeit des Raumzeit-Kontinuums als grundlegende Fundamentalontologie

Dieser Artikel ist erschienen in: Mühlenbeck, C. (2021). Die absolute Unendlichkeit des Raumzeit-Kontinuums als grundlegende Fundamentalontologie. META: Research in Hermeneutics, Phenomenology, and Practical Philosophy. Vol. XIII, No. 2 / December 2021: 343-366, ISSN 2067-3655, www.metajournal.org, Alexandru Ioan Cuza University Press, Iasi, Romania. Um den Artikel zu zitieren, nutzen Sie bitte diese Referenz.

Zusammenfassung

Heidegger beschreibt in seiner Fundamentalontologie die Ausdehnung – extensio – in Raum und Zeit als die grundlegendste Gemeinsamkeit von Sein und Seiendem und zudem die gegenseitige Abhängigkeit, das heißt den Zusammenhang von Raum und Zeit, als den Zeitraum. Im vorliegenden Artikel wird die Raumzeit (der Zeitraum) als fundamentalste Eigenschaft von Sein und Seiendem bestätigt und ihre Beschaffenheit als kontinuierlich identifiziert. Daraufhin wird die Beschaffenheit des Kontinuums und seine Mächtigkeit untersucht, um das Sein in seinem Wesen und damit die fundamentalontologische Grundlegung von Sein und Seiendem zu bestimmen. Diese Untersuchung wird durchgeführt, indem der Aufbau der zeitgenössischen Mathematik auf der Mengenlehre und drei damit verbundene Axiome analysiert werden. Daraus folgernd wird abschließend Heideggers Fundamentalontologie in Anlehnung an seine eigene Überarbeitung aktualisiert, indem diese Erkenntnisse über Beschaffenheit und Mächtigkeit des Kontinuums mit eingeschlossen werden.

The absolute infinity of the space-time-continuum as fundamental ontology

Abstract

In his fundamental ontology, Heidegger describes the extent – extensio – in space and time as the most fundamental commonality of being and entity and, moreover, the mutual dependence, i.e. the connection between space and time, as the time-space. In the present article, the space-time (the time-space) is confirmed as the most fundamental property of being and entity, and its nature is identified as continuous. Thereafter, the nature of the continuum and its power (in mathematics: its cardinality) are examined in order to determine being in its essence and thus the fundamental ontological foundation of being and entity. This investigation is carried out by analyzing the construction of contemporary mathematics on set theory and three axioms related to it. In conclusion, Heidegger’s fundamental ontology is updated, based on his own revision, by including these findings about the nature and power of the continuum.

1. Sein und Seiendes als Raumzeit und das Seiende als Seins-Bereiche

Als Martin Heidegger in seinem Werk Sein und Zeit (1967) eine fundamentalontologische Grundlegung unternimmt, stellt er zunächst in Anlehnung an Descartes die Ausdehnung – extensio – eines jeden Seienden als die Seinsverfassung heraus, „die vor allen anderen Seinsbestimmungen schon »sein« muß, damit diese »sein« können, was sie sind. Ausdehnung muß dem Körperding primär »zugewiesen« werden. […] So kann ein Körperding bei Erhaltung seiner Gesamtausdehnung doch vielfach die Verteilung derselben nach den verschiedenen Dimensionen wechseln und sich in mannigfachen Gestalten als ein und dasselbe Ding darstellen.“ (Heidegger, 1967, S. 90) Da Heidegger seine Fundamentalontologie in Sein und Zeit auf das Dasein zurückführt, wird diesbezüglich weiter unterschieden. Auf das Dasein des Menschen bezogen gilt: „Der Raum ist weder im Subjekt, noch ist die Welt im Raum. […] Der Raum befindet sich nicht im Subjekt, noch betrachtet dieses die Welt, »als ob« sie in einem Raum sei, sondern das ontologisch wohl-verstandene »Subjekt«, das Dasein, ist räumlich. Und weil das Dasein in der beschriebenen Weise räumlich ist, zeigt sich der Raum als Apriori.“ (Heidegger, 1967, S. 111) Doch auch die Räumlichkeit jedes anderen Seienden wird, mit Bezug zu Hegel näher bestimmt, weil hieran die Übereinstimmung von Raum und Zeit deutlich gemacht wird. So schreibt er:

„der Raum ist die abstrakte Vielheit der in ihm unterscheidbaren Punkte. Durch diese wird der Raum nicht unterbrochen, er entsteht aber auch nicht durch sie und gar in der Weise einer Zusammenfügung. Der Raum bleibt, unterschieden durch die unterscheidbaren Punkte, die selbst Raum sind, seinerseits unterschiedslos. Die Unterschiede sind selbst vom Charakter dessen, was sie unterscheiden. Der Punkt ist aber gleichwohl, sofern er überhaupt im Raum etwas unterscheidet, Negation des Raumes, jedoch so, daß er als diese Negation (Punkt ist ja Raum) selbst im Raum bleibt. Der Punkt hebt sich nicht als ein Anderes als der Raum aus diesem heraus. Der Raum ist das unterschiedslose Außereinander der Punktmannigfaltigkeit. Der Raum ist aber nicht etwa Punkt, sondern, wie Hegel sagt, »Punktualität«.“ (Heidegger, 1967, S. 429)

Letztere Punktualität meint bei Hegel aber vollkommene Kontinuität (Hegel, 1906, § 254 Zusatz). Und damit wird eine Übereinstimmung, ein Zusammenfallen, von Raum und Zeit identifiziert. Denn eine Unterscheidung von Raumpunkten, stellvertretend für jedes Erkennen von Seienden, ist immer nur als gleichzeitiges Erkennen in Zeit möglich (Heidegger, 1967, S. 430). Auf diese Weise beschreibt Heidegger die zusammenhängende Raumzeit als die fundamentale Seinsgrundlage. Das Sein des Seienden wird aber nicht nur durch die Raumzeit bestimmt, die ein Seiendes ausfüllt, sondern auch durch den raumzeitlichen Hintergrund, von dem es sich abhebt. Denn das Sein ist gleichzeitig auch als kontextueller Hintergrund die Voraussetzung dafür, dass Seiendes ist: „Der Raum, der im umsichtigen In-der-Welt-sein als Räumlichkeit des Zeugganzen entdeckt ist, gehört je als dessen Platz zum Seienden selbst.“ (Heidegger, 1967, S. 104 ff.). Der Punkt ist, wie oben beschrieben, „Negation des Raumes, jedoch so, daß er als diese Negation (Punkt ist ja Raum) selbst im Raum bleibt. Der Punkt hebt sich nicht als ein Anderes als der Raum aus diesem heraus.“ Das bedeutet, dass sich jedes Seiende durch die es umgebende und die beinhaltete Raumzeit, und die darin enthaltenen Sinnstrukturen konstituiert. Ein Seiendes ist also immer ein Gegebenes im Spannungsfeld der Bereiche, die es ausmachen und von denen es sich abgrenzt. Um ein Seiendes näher zu bestimmen, müssen dann auch diese Bereiche näher bestimmt sein. „Mit der radikalen Herausstellung der extensio als des prae-suppositum für jede Bestimmtheit der res corporea hat Descartes dem Verständnis eines Apriori vorgearbeitet, dessen Gehalt dann Kant eindringlicher fixierte. Die Analyse der extensio bleibt in gewissen Grenzen unabhängig von dem Versäumnis einer ausdrücklichen Interpretation des Seins des ausgedehnten Seienden. Die Ansetzung der extensio als Grundbestimmtheit der »Welt« hat ihr phänomenales Recht […]“ (Heidegger, 1967, S. 101). Hierzu ist hinzuzufügen, dass Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft Raum und Zeit als reine Anschauungsformen betrachtete, „als notwendige Vorstellung, a priori, die allen äußeren Anschauungen zum Grunde liegt“ (Kant, 1966, S. 85). Sie sind damit Bedingung der Möglichkeit der Erscheinung in dem Sinne, dass sie a priori dem Gegenstand (als Erscheinung) notwendig zukommen (Kant, 1966, S. 86). Weiter sind sie formgebende Prinzipien der Erscheinungen, denn nicht-räumlich oder nicht-zeitlich Vorstellungen sind unmöglich, wobei auch das angeschaute Nichts eine Raumzeit besäße weil es die Entfernung von Inhalten aus ihr wäre (Kant, 1966, S. 89-93 und 96-105). Allerdings ist Kants Schlussfolgerung der transzendentalen Idealität von Raum und Zeit (Kant, 1966, S. 91, 99-100), also die Annahme, dass sie nur subjektive Beschaffenheit unserer Anschauungen sind, problematisch, da wir und unsere Anschauungen selbst in-der-Welt sind und ihnen somit extensio in Raum und Zeit zukommt und sie von jener, der Welt, durch das in-der-Welt-sein mitbestimmt werden (Kara-Pesic, 2014, S. 232), wie Heidegger als Versäumnis einer Ontologie des Daseins beschreibt (Heidegger, 1967, S. 24). Dennoch kann Raumzeit nicht als absolute unwandelbare Größe angenommen werden, in der Dinge vorkommen, wie Kant richtig folgert (Kant, 1966, S. 99). Vielmehr müssen Raum und Zeit, wie es im Laufe der Geschichte durch die empirischen Wissenschaften bestätigt wurde, als jeweils relative Bedingungen jeglicher Erscheinungen angenommen werden. Dinge sind nicht ‚in‘ Raum und Zeit, sie ’sind‘ Raum und Zeit. Raum und Zeit verändern sich mit den Eigenschaften der Dinge, sie können gekrümmt, gedehnt, gestaucht, etc. sein. Da nun jedes Seiende, i.e. dinglich vorhandene wie auch nur vorgestellte, also geistig Seiende (Heidegger, 1967, S. 434-436), in-der-Welt ist, kommt jedem Raumzeit zu. Heidegger schreibt dazu:

„Weil sonach das reine Denken der Punktualität, das heißt des Raumes, je das Jetzt und das Außersichsein der Jetzt »denkt«, »ist« der Raum die Zeit. Wie wird diese selbst bestimmt? »Die Zeit, als die negative Einheit des Außersichseins ist gleichfalls ein schlechthin Abstraktes, Ideelles. – Sie ist das Sein, das, indem es ist, nicht ist, und indem es nicht ist, ist: das angeschaute Werden; das heißt daß die zwar schlechthin momentanen, unmittelbar sich aufhebenden Unterschiede als äußerliche, jedoch sich selbst äußerliche, bestimmt sind«[1]. Die Zeit enthüllt sich für diese Auslegung als das »angeschaute Werden«. Dieses bedeutet nach Hegel Übergehen vom Sein zum Nichts, bzw. vom Nichts zum Sein. Werden ist sowohl Entstehen als Vergehen. Das Sein »geht über«, bzw. das Nichtsein. Was besagt das hinsichtlich der Zeit? Das Sein der Zeit ist das Jetzt; sofern aber jedes Jetzt »jetzt« auch schon nicht-mehr-, bzw. je jetzt zuvor noch-nicht ist, kann es auch als Nichtsein gefaßt werden. Zeit ist das »angeschaute« Werden, das heißt der Übergang, der nicht gedacht wird, sondern in der Jetztfolge sich schlicht darbietet.“ (Heidegger, 1967, S. 430-431)

So zeigt er, dass das Sein durch den Übergang alles beinhaltet: das Jetzt, welches nicht-mehr und noch-nicht und somit Unendlichkeit ist (Heidegger, 1967, S. 431). Noch genauer beschreibt Heidegger aber das Nichts als Bestandteil des Seins in seinen Beiträgen: „Denn »Sein« meint hier nicht an sich Vorhandensein, und Nichtsein meint hier nicht: völliges Verschwinden, sondern Nichtsein als eine Art des Seins: Seiend und doch nicht; und ebenso Sein: nichthaft und doch gerade Seiend. Dieses in die Wesung des Seyns zurückgenommen verlangt die Einsicht in die Zugehörigkeit des Nichts zum Sein (…).“ (Heidegger, 1989, S. 101) Denn die Zugehörigkeit des Nichts zum Sein geht auf die Wesung zurück, da das Sein immer auch als Verweigerung west. Francesco Lanzi schreibt dazu: „Derjenige Teil des Seins, der sich verweigert, ist im Unterschied zu demjenigen Teil, der als das Seiende erscheint, unbestimmt. Für das Dasein stellt sich also das sich verweigernde Sein als das Nichts dar, denn beim Entwurf des Seins wird immer auch die Verweigerung als solche entworfen und behält somit ihre negative Geltung. Deshalb lassen sich überhaupt keine Merkmale desjenigen Teils des Seins, der sich verweigert, ausmachen, da eben dieser Teil des Seins nicht als bestimmt aufgefasst werden kann. Das Nichts und das „Nicht“ des Nicht-Erscheinens der Verweigerung gehören daher selbst notwendigerweise zu der Wesung des Seins.“ (Lanzi, 2013, S. 55) So ist das Nichts selbst Teil des Seins. Aber für Heidegger ist es wichtig zu unterscheiden, dass das Nichts eben zur Wesung des Seins und nicht zum Seienden gehört, wobei er das Seiende als Etwas bezeichnet. Dadurch dass das Nichts das Gegenteil des Etwas ist, ist es aber nicht einfach nichtig, sondern Bestandteil der Wesung des Seins aus der Etwas wird: 

 „Weil zum Wesen des Seyns das Nicht gehört […], gehört zum Nicht das Seyn; d. h. das eigentlich Nichtige ist das Nichthafte und keineswegs das bloße Nichts, so, wie es vorgestellt wird durch die vorstellende Verneinung des Etwas, aufgrund deren man sagt: das Nichts ist nicht. Aber das Nichtseyn west und das Seyn west, das Nichtsein west im Unwesen, das Seyn west als nichthaft.“ (Heidegger, 1989, S. 267)

Durch diese Unbestimmtheit beinhaltet das Sein alle Möglichkeiten (Lanzi, 2013, S. 70), was sich auch in der „Wesung“ des Seins als Verweigerung äußert. Heidegger schreibt dazu: „Daß das Sein ist und deshalb kein Seiendes wird, drückt sich am schärfsten darin aus: das Seyn ist Möglichkeit, das nie Vorhandene und doch immer Gewährende und Versagende in der Verweigerung durch die Er-eignung.“ (Heidegger, 1989, S. 475) Und Francesco Lanzi erläutert: „Das Sein wird durch die wesentliche Zusammengehörigkeit von ‚Gewährung‘ und ‚Versagung‘ ausgemacht. Es wird hierbei in dem Sinne als das Gewährende betrachtet, dass es das Seiende oder dessen Erscheinen ermöglicht und somit gewährt. Durch diese Gewährung geschieht trotzdem immer eine entsprechende Versagung, die in der Verweigerung oder dem Nicht-Erscheinen liegt. Die in der Wesung immer mit einbezogene Verweigerung wird auch durch die Betrachtung des Seins als ‚Entzug‘ verdeutlicht“. (Lanzi, 2013, S. 31) Bei Heidegger heißt es dann: „Wo aber Pflanze, Tier, Stein und Meer und Himmel seiend werden, […] da waltet der Entzug (Verweigerung) des Seyns, dieses als Entzug.“ (Heidegger, 1989, S. 293) Und wie Lanzi beschreibt, wird dem Sein ein „Sichtentziehen“ mit gleichzeitig „nächster Nähe“ zugewiesen, wobei letztere auf das Erscheinen des Seienden verweist. „Das Sichentziehen des Seins wird als Entfaltung und Vorgang aufgefasst“, wodurch es mit Entstehung und Beständigkeit des Seienden zusammenhängt (Lanzi, 2013, S. 32). Die Entfaltung sind hierbei die schon bestehenden Möglichkeiten, die das Sein zur Entfaltung aufweist. Der Vorgang der Entfaltung ist die Zeit. Somit sind Zeit und Kontingenz Bestandteile des Seins und damit auch des Raums. Durch diesen grundlegenden Entfaltungscharakter, der dem Sein und dem Seienden zugleich zukommt, bekommen wir am stärksten den Zusammenhang von Raum und Zeit aufgezeigt. Sein und Seiendes sind selbst sich stetig verändernde Raumzeit. Raum, den sie einnehmen und ausfüllen mit ihrer Veränderung in der Zeit. „Die Entfaltung, die die Wesung des Seins selbst ist, beinhaltet also zugleich die Entfaltung des Daseins und des Seienden.“ (Lanzi, 2013, S. 68). Aus dem oben ausgeführten können wir zusammenfassen: Jegliche Qualitäten und Formen nehmen durch ihr in-der-Welt-sein Raumzeit ein und grenzen sich von weiterer ab. Wir können sie somit als Konturen in der Raumzeit beschreiben (oder wie Lanzi als „Gestalt“: 2013, S. 71) und die grundlegendste Gemeinsamkeit, die dem Sein und dem Seienden zukommt, ist ihr raumzeitlicher Bestand. Viel mehr noch können wir sagen, dass Sein und Seiendes, trotz einer Trennung der Gestalt vom kontextuellen Hintergrund, nicht getrennt zu betrachten, sondern eins (oder immer beides) sind, wir können das Seiende als Seins-Bereiche auffassen: „Die Wesung des Seins besteht aus dem Erscheinen des Seins durch das Seiende und in der Verbergung. Das Erscheinen des Seins durch das Seiende, das in dem Entwurf als dem Dasein selbst besteht, stellt sich als eine Eröffnung des Seienden und damit des Offenen selbst dar, in dem das Sein als das Seiende erscheint. Die Eröffnung […] gehört zu der Entfaltung der Wesung des Seins selbst und ist also ein innerer Aspekt der Wesung. Diese Eröffnung macht den Zeit-Raum aus“ (Heidegger, 1989, S. 372; Lanzi, 2013, S. 72). Raum und Zeit als getrennt vorgestelltes haben ihren gemeinsamen Urgrund in der Raumzeit: „Raum und Zeit, je für sich vorgestellt und in der üblichen Verbindung, entspringen selbst aus dem Zeit-Raum, der ursprünglicher ist als sie selbst und ihre rechenhaft vorgestellte Verbindung. Der Zeit-Raum aber gehört zur Wahrheit im Sinne der Erwesung des Seins als Ereignis.“ (Heidegger, 1989, S. 372) Dies macht die Raumzeit (oder den Zeit-Raum) als den grundlegendsten Bestand für Sein und Seiendes deutlich. 

2. Die Beschaffenheit von Raum und Zeit

Befassen wir uns nun mit der Beschaffenheit der Raumzeit. Ansetzend an die obige Beschreibung der Punkte im Raum (die bei Hegel vollkommen kontinuierlich waren, s.o.), gilt die These, welche im folgenden bewiesen werden soll, dass die Raumzeit vollkommen kontinuierlich ist. Das heißt, dass die extensio der Welt derjenigen der Einzeldinge und so auch derjenigen der Punkte entspricht und sich aus ihrem Kontinuum die absolute Unendlichkeit ergibt.

Das erste Beweisargument ergibt sich aus substantiellen Gründen und liefert Heidegger selbst, indem er zeigt, dass jedes Seiende mit seiner extensio sich durch eine seiende Grenze, die ebenfalls extensio besitzt, von einem Äußeren abgrenzt: „Im Zusammenhang der ersten Vorzeichnung des In-Seins (vergleiche § 12) mußte das Dasein gegen eine Weise des Seins im Raum abgegrenzt werden, die wir die Inwendigkeit nennen. Diese besagt: ein selbst ausgedehntes Seiendes ist von den ausgedehnten Grenzen eines Ausgedehnten umschlossen. Das inwendig Seiende und das Umschließende sind beide im Raum vorhanden“ (Heidegger, 1967, S. 101). Wenn wir diskrete, nicht-teilbare Punkte aneinander reihen würden, so gäbe es immer einen Übergang, den wir in irgendeiner Weise räumlich fassen müssten, um überhaupt den Übergang von einem Punkt zum anderen bestimmen zu können (offene Punkte ohne Grenze wären in jedem Fall kontinuierlich). Diese Grenze zwischen zwei Punkten hätte selbst immer eine räumliche Ausdehnung, sodass Punkte nicht vollständig das Kontinuum ausfüllen könnten. Da Heidegger sich auf Hegel bezieht, betrachten wir, was Hegel zur Punktualität des Raumes schreibt:

„Setzt man einen Punkt, so unterbricht man den Raum; aber der Raum ist schlechthin dadurch ununterbrochen. Der Punkt hat nur Sinn, insofern er räumlich ist, also gegen sich und anderes äußerlich ist; das Hier hat in ihm selbst wieder ein Oben, Unten, Rechts, Links. Was nicht mehr in ihm selbst äußerlich wäre, nur gegen Andere, wäre ein Punkt; aber den gibt es nicht, weil kein Hier ein Letztes ist. Stelle ich den Stern auch noch so weit, so kann ich darüber hinausgehen; die Welt ist nirgends mit Brettern zugenagelt.“ (Hegel, 1906, § 254 Zusatz)

Raumpunkte die wir gegeneinander als diskrete Teile unterscheiden, sind demnach nur gesetzte Punkte. Aus der Kontinuität des Raumes ergibt sich auch seine Unendlichkeit.

„Von Raumpunkten zu sprechen, als ob sie das positive Element des Raums ausmachten, ist unstatthaft, da er um seiner Unterschiedslosigkeit willen nur die Möglichkeit, nicht das Gesetztsein des Außereinanderseins und Negativen, daher schlechthin kontinuierlich ist; der Punkt, das Fürsichsein, ist deswegen vielmehr die und zwar in ihm gesetzte Negation des Raums. – Die Frage wegen der Unendlichkeit des Raums entscheidet sich gleichfalls hierdurch [§ 99, 100]. Er ist überhaupt reine Quantität, nicht mehr nur dieselbe als logische Bestimmung, sondern als unmittelbar und äußerlich seiend. – Die Natur fängt darum nicht mit dem Qualitativen, sondern mit dem Quantitativen an, weil ihre Bestimmung nicht wie das logische Sein das Abstrakt-Erste und Unmittelbare, sondern wesentlich schon das in sich Vermittelte, Äußerlich- und Anderssein ist.“ (Hegel, 1906, § 254).

Reine Quantität ist für Hegel das reine Sein, an dem jede Bestimmtheit aufgehoben ist (Hegel, 1906, § 99). Ebenso sieht Hegel die Zeit, welche genauso kontinuierlich und ewig (d.h. unendlich) ist wie der Raum (Hegel, 1906, § 258), ohne Ewigkeit jedoch als außerhalb der Zeit fassend, sondern als wesentlich der Zeit immanent, d.h. ursprünglich ewige Zeit ohne schon bestehende Zeitpunkte (von Dauer). Ewigkeit kann nicht nach der Zeit kommen, „so würde die Ewigkeit zur Zukunft, einem Momente der Zeit, gemacht“ (Hegel, 1906, § 258). Was das Verhältnis von Raum (und Zeit) zu den Dingen betrifft, so schreibt auch schon Hegel, wie Heidegger, dass der Raum kein unabhängiger Gegenstand für sich sein kann: „Man kann keinen Raum aufzeigen, der Raum für sich sei; sondern er ist immer erfüllter Raum und nie unterschieden von seiner Erfüllung. […] die Naturdinge sind im Raume, und er bleibt die Grundlage, weil die Natur unter dem Bande der Äußerlichkeit liegt“ (Hegel, 1906, § 254, Zusatz). Dies macht noch einmal die Gemeinsamkeit des Seienden und des Seins durch die extensio deutlich, unabhängig von jeder Stofflichkeit oder Größenordnung. Hegel setzt die Raumzeit mit reiner Quantität und diese mit dem reinen Sein gleich (Hegel, 1906, § 99). Letzteres wiederum ist für ihn das Absolute: „Das Sein selbst sowie die […] Bestimmungen nicht nur des Seins, sondern die logischen Bestimmungen überhaupt können als Definitionen des Absoluten, als die metaphysischen Definitionen Gottes angesehen werden“ (Hegel, 1906, § 85). Aus dem schlechthin kontinuierlich sein des Raumes ergibt sich die absolute Unendlichkeit der Raumzeit (und jedes gesetzten Raumzeit-Punktes) auf Grund ihrer ursprünglichen Unterschiedslosigkeit zu Stoffen/Substanzen, gesetzten (punktuellen) Quantitäten, Zeitrelationen, etc. und ihrer unendlichen Teilbarkeit.

Das zweite Beweisargument ergibt sich aus existentiellen Gründen, welches auch in der Philosophie der Mathematik in Bezug zur Existenz von Punkten (siehe weiter unten) zu finden ist (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 157) und welches auch an anderer Stelle in Bezug zur Unendlichkeit der Natur und der Einzeldinge schon näher erläutert wurde (Mühlenbeck, 2020, S. 275). Nehmen wir an, es gäbe diskrete, kleinste Teilchen und bezeichnen wir diese als Punkte. Durch diskrete Punkte soll die extensio der Raumzeit zwar nach außen unendlich sein und kontinuierlich fortfahren, aber dieses Kontinuierliche soll durch diskrete Objekte konstituiert sein, wodurch kein Fortfahren nach innen entsteht. Das Problem ist aber nun, dass diese diskreten Punkte ohne die unendliche Fortführung nach innen, selbst keine eigene Existenz besitzen. Denn das Abbild der extensio nach innen ist notwendig, damit Punkte sich überhaupt durch einen inneren Hintergrund konstituieren können, durch diesen Hintergrund also ihr Sein erhalten. Um dieses Argument zu veranschaulichen betrachten wir einen Punkt und den Raum, den er überdeckt. Ist dieser Punkt teilbar, dann beinhaltet er unendlich viele Überdeckungen, also weitere kleine Punkte im Inneren, die wiederum selbst Kontinua bilden, also teilbar sind und wieder unendlich viele Punkte überdecken, usw. Ist der Punkt begrenzt teilbar, d.h. es gibt nur endlich viele innere Punkte oder Teile, die er überdeckt, und die selbst unteilbar sind, dann bilden diese inneren Teile eine endliche diskrete Grenze, die sich ohne eigene innere Überdeckung nicht von dieser zur Existenz abheben könnte. Ist der Punkt unteilbar (d.h. diskret), kann er auch keine weiteren Punkte überdecken. Dann kann er sich von diesen aber auch nicht abheben und somit auch nicht existieren. Das heißt, die Raumzeit, oder auch nur Teile von ihr, können nicht aus diskreten Punkten konstituiert werden, da sie selbst nur als Grenzen gesetzt keine eigene innere Überdeckung und somit keine eigene Existenz durch Abhebung von dieser haben. Aus diesem Argument folgt, dass jedes Seiende kontinuierlich sein muss, da wir beim Diskontinuierlichen an eine letzte Grenze stoßen würden, die keine Existenz hätte. Das heißt, auch die Art und Weise, wie jegliches Seiende beschaffen ist, muss kontinuierlich sein. Stoffe, Substanzen, Möglichkeiten bilden das Raumzeit-Kontinuum und sind damit selbst kontinuierlich. Um die Mächtigkeit dieses Kontinuums näher zu betrachten, untersuchen wir die Ergebnisse, die die Mathematik hervorgebracht hat, welche sich am eingehendsten mit dem Kontinuum und der Unendlichkeit befasst hat.

3. Die Beschaffenheit des Kontinuums

Fortführend zu unserer obigen Betrachtung der Beschaffenheit der Raumzeit und ihrer Identifikation mit dem Kontinuum, betrachten wir nun die Beschaffenheit des Kontinuums. Nennen wir das Kontinuum der Raumzeit das klassische, homogene, Kontinuum. Seit der Betrachtung dieses klassischen Kontinuums gab es unterschiedliche Denkansätze es zu fassen. Z.B. hatte bereits Anaxagoras (ca. 500–428 v. Chr.) eine grundlegend anti-atomistische Auffassung und verstand das Kontinuum als unendlich teilbar, die Gegenauffassung nahm beispielsweise Demokrit (ca. 460–ca. 370 v. Chr.), als Hauptvertreter der Atomisten, ein (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 158 f.). Doch die „Entdeckung der Inkommensurabilitat durch die Pythagoreer setzte dem endlichen Atomismusein Ende“ (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 159). Mit der Entdeckung der Inkommensurabilität (um 450 v. Chr.) ist folgendes gemeint: zunächst erfüllte die Mathematik rein philosophische Zwecke und in ihrem Mittelpunkt standen die Zahlen und mit ihnen die Zahlentheorie. Die Entdeckung war, dass es keine Zahlen gab, „die das Verhältnis von Seite und Diagonale im regelmäßigen Fünfeck angaben […] Diese Entdeckung führte zu einer wahren philosophisch-weltanschaulichen Krise. Sie war vielleicht die Geburtsstunde der Mathematik, die, da sie ihre philosophische Funktion verlor, von nun an eine eigene Disziplin wurde – auf philosophischer Grundlage.“ (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 30). Doch mit dem Ende des Atomismus und der Annahme des homogenen Kontinuums war noch keine aktuale Unendlichkeit erkannt, denn Aristoteles (384-322 v. Chr.) schloss diese einfach als undenkbar aus der Betrachtung und der Mathematik aus (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 36 f.).[2] Und auch wenn sich die Mathematik als eigenständige Disziplin entwickelte, so müssen wir auch weiterhin das Verhältnis des Raumzeit-Kontinuums zu seiner mathematischen Beschreibung betrachten, weil Mathematik immer noch eine projektive Beschreibung der Natur bleibt, und sei es nur hypothetischer Art. Das Kontinuum wurde später, in der Weiterentwicklung seiner Untersuchung mit Cantor, durch die reellen Zahlen beschrieben. Cantor entdeckte das aktual Unendliche und die Hierarchie der Transfiniten Zahlen, in der es eine unendliche Abfolge von aktualen Unendlichkeiten unterschiedlicher Mächtigkeiten gibt, und schuf damit die Systematik der modernen Mengenlehre (gegen Ende des 19. bis zu Beginn des 20. Jh.) auf der die gesamte heutige Mathematik aufbaut (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 68-72). Durch Cantors Entwicklung der modernen Mengenlehre war eine immer tiefere Bestimmung des Kontinuums möglich, auch wenn er das unendlich kleine, das Infinitesimale aus dieser Betrachtung ausschloss (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 169, 279). Zudem baut diese Systematik der unendlichen Mengen auf der Identifikation des Kontinuums mit diesen Mengen auf, d.h. das Kontinuum wurde in der Folge mit ℝ, den reellen Zahlen, identifiziert. Durch diese Identifikation des Kontinuums mit ℝ wurde seine Strukturierung und der Aufbau der Systematik der modernen Mengenlehre erst möglich. Die Identifikation mit ℝ entspricht aber einer Identifikation mit diskreten Elementen. Diese Identifikation war eine Entscheidung, die getroffen wurde (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 279), weil die Verwendung von diskreten Punkten, d.h. der reellen Zahlen, für die Anwendungen der Mathematik schon ausreichte und so mit den entdeckten Unendlichkeiten umgegangen werden konnte (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 174 f.). Doch diese Gleichsetzung des klassischen Kontinuums mit diskreten Punkten rief einige Probleme hervor, von denen eins als die Kontinuumshypothese bekannt sind. Zur Beschreibung seien zwei Axiome genannt, die zum Aufbau und zur Verwendung der heutigen Mengenlehre gehören. Das Unendlichkeitsaxiom, erstens, erlaubt das Vorliegen unendlich vieler Mengen von unendlicher Mächtigkeit. (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 208) Das Auswahlaxiom, zweitens, besagt: „Für jede Familie nichtleerer, disjunkter Mengen existiert eine „Auswahlmenge“, die genau ein Element aus jeder der Mengen enthalt.“ (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 217) Das bedeutet, dass letztlich wie in endlichen Mengen eine Ordnung angenommen wird, die es einem erlaubt Elemente voneinander zu unterscheiden und auszuwählen. Bei unendlichen Mengen von jeweils unendlicher Mächtigkeit ist das aber überhaupt nicht mehr klar. Es könnte ja sein, dass wir in einer bestimmten Situation gar kein Verfahren zur Auswahl der Elementekennen, da wir ohne Anfang und Ende keine Ordnung vorliegen haben. Trotzdem stellt man sich vor, dass so eine Auswahl immer möglich ist. Hinzu kommt, dass in aktual unendlichen Mengen, wenn sie wie endliche Mengen gehandhabt werden, die Frage nach der Kardinalzahl, also der Anzahl ihrer Elemente entsteht.

„Die Kardinalzahl der Elemente der reellen Zahlen ist überabzählbar. Und schon hier, im ersten Schritt im Unendlichen von der unendlichen Abzählbarkeit der natürlichen Zahlen zur Überabzählbarkeit der reellen Zahlen, wird es problematisch. Ist die Kardinalzahl der reellen Zahlen die nächste unendliche Zahl nach der unendlichen Kardinalzahl der natürlichen Zahlen? Das ist das heutige Kontinuumproblem. […] Es ist der Preis für die Entscheidung, das Kontinuum als Menge aufzufassen.“ (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 278 )

Die Kontinuumshypothese ist nun die Hypothese, dass die Kardinalzahl der reellen Zahlen die nächste nach der Kardinalzahl der natürlichen Zahlen ist und keine weiteren dazwischen gelegen sind. Diese Hypothese lässt sich aber nicht eindeutig bestätigen oder widerlegen.

„Mit der Kontinuumshypothese CH […] ist es wie mit dem Auswahlaxiom AC. Man kann sie ablehnen oder akzeptieren. Das zeigen die Satze von Gödel und Cohen. Lehnt man sie ab, so kann man eine, zwei, drei . . . , mehr: „beliebig viele“ transfinite Kardinalzahlen wählen, die zwischen den Kardinalzahlen von ℕ und ℝ liegen. Das zeigt, wie unsicher, wie beliebig die Situation jenseits des Endlichen ist. […] Das Unendliche war und bleibt transzendent, auch wenn wir täglich damit umgehen. Welche der Mengenlehren, mit oder ohne CH, mit oder ohne AC, nehmen wir? Fast jede Kombination ist möglich. Wenn die Mengenlehre das Fundament der Mathematik ist, haben wir ein gravierendes Problem. Denn es handelt sich nicht um eine Nutzen- oder Geschmacksfrage. Wir erwarten festen Grund und klare Verhältnisse. Die Mengenlehre kann sie uns in diesen entscheidenden Punkten [selbst] nicht bieten.“ (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 278 f.)

Zusätzlich ist es erstaunlich, dass die Infinitesimalien und das unendlich Kleine aus der heutigen Mengenlehre überhaupt erst ausgeschlossen wurden und ihre Verwendung vom überwiegenden Teil der heutigen Mathematiker, zum Teil vehement (Behrends, 2003, S. 237), abgelehnt werden, wenn stattdessen aber das Unendlichkeitsaxiom verwendet und unendlich viele aktuale Mengen unterschiedlicher Kardinalzahlen angenommen werden (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 170). Dabei weiß man heute, dass die Infinitesimalen in der Mathematik, „legitime mathematische Objekte sind“ (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 170). Doch das oben angesprochene Problem, das die Mengenlehre als Fundament der Mathematik betrifft, ist ein Problem, das erst durch die Verendlichung des Kontinuums durch die Mathematik auftaucht. Es entsteht nicht im homogenen Kontinuum, wenn man auch dort die aktuale (aber homogene) Unendlichkeit annimmt (und nicht, wie Aristoteles, das homogene Kontinuum nur mit dem potentiell Unendlichen verbindet). Hierzu betrachten wir Gödels zweiten Unvollständigkeitssatz, der besagt,

„dass es keinen Beweis der Widerspruchsfreiheit irgendeiner formalisierten und widerspruchsfreien Theorie geben kann. Vorausgesetzt wird, dass die Theorie die Arithmetik der natürlichen Zahlen enthält und dass keine Mittel außerhalb dieser Theorie verwendet werden. Kurz: Keine solche Theorie kann ihre eigene Widerspruchsfreiheit beweisen. […] Die Gödelschen Sätze [erster und zweiter Unvollständigkeitssatz] […] haben gezeigt, dass die klassische Mathematik nicht von einem widerspruchsfreien formalisierten System umfasst wird, das auf der Logik der ersten Stufe basiert. In einem solchen System sind zudem nicht alle wahren Satze über die natürlichen Zahlen enthalten.“ (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 110)

Das bedeutet, dass Theoriegebilde zwar intern widerspruchsfrei sein können, aber ihre eigene Widerspruchsfreiheit als System mit eigenen Mitteln nicht bestätigt werden kann. Es wären immer zusätzliche Mittel außerhalb der Theorie notwendig, die ja dann diese ursprüngliche Theorie erweitern würden. So erhält dieser zweite Unvollständigkeitssatz Bedeutung für die gesamte Mathematik, da diese o.g. Widerspruchsfreiheit der Mathematik, wie sie eigentlich durch das Lösen der Kontinuumshypothese gefordert wird, nicht mit mathematischen Mitteln nachgewiesen werden kann. (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 279) So verhält es sich mit der Kontinuumshypothese und den reellen Zahlen. Die Kontinuumshypothese ist mit und ohne zusätzliche Kardinalzahlen zwischen ℕ und ℝ widerspruchsfrei nutzbar (s.o.). Das heißt, das Kontinuum der diskreten Elemente ist beliebig erweiterbar durch zusätzliche Unendlichkeiten, und wie oben gezeigt, sogar auch nach innen durch die Infinitesimalien. So wie wir Unendlichkeiten hinzufügen können, müssten für die Widerspruchsfreiheit jedes Systems der Mathematik immer wieder äußere Mittel hinzugefügt werden – ebenfalls eine unendliche Erweiterung.

Betrachten wir noch ein weiteres Bespiel zur Verdeutlichung: das Vollständigkeitsaxiom. Oben, in Abschnitt 2, haben wir gegen die Existenz diskreter Punkte auf Grund der fehlenden inneren Überdeckung und der daraus resultierenden fehlenden Existenz argumentiert. In der Mathematik gelten Punkte als etwas, was keine Teile hat und damit als nicht teilbar. Damit werden Punkte atomistisch aufgefasst. Charakteristisch für das homogene Kontinuum ist gerade, dass es Teile hat, deren Teile wieder kontinuierlich sind. Unteilbare Punkte können nur Diskontinuierliches bilden, da sie „in der Teilung nur als Grenzen von Kontinua“ (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 157) erscheinen und keine eigene Existenz besitzen. Doch Bedürftig und Murawski schreiben weiter:

„Das größte ‚Kunststück‘ hinter dem Kunstwerk der reellen Zahlen ist dieses: ℝ ist als Menge das ‚Gegenteil‘ dessen, was anschaulich das Kontinuum ist. Denn ℝ zerfällt in Elemente, das Kontinuum ist homogen. Aber: ℝ ist heute das Kontinuum. Ausführlicher: Wir können Punkte in Kontinuua [sic!] setzen, sie aber mit ihren eigenen Mitteln nicht unterscheiden. Eine Unterscheidung wird erst möglich, wenn wir die gesetzten Punkte mit Zahlen belegen oder wenn wir Koordinaten in den Raum projizieren. Das ist aber wohlgemerkt eine Projektion. Koordinaten bilden nicht das Kontinuum. Das Kontinuum ist das Medium, das für solche Projektionen da ist. Auch wenn ℝ als Menge ursprünglich nichts Kontinuierliches an sich hat, verhalten sich seine Elemente wie die ins lineare Kontinuum gesetzten Punkte.“ (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 186)

Wir sehen, dass das homogene Kontinuum, unsere Raumzeit, notwendig bleibt für die mathematischen Operationen, die wir in unserer Verwendung des Kontinuums der reellen Zahlen vornehmen. Die Identifikation des Kontinuums mit ℝ ist artifiziell und unzulässig, weil ohne den homogenen Hintergrund keine Projektion und keine Existenz dieser mathematischen Ordnung möglich wäre. Wenn wir das diskrete Kontinuum der reellen Zahlen auf die Raumzeit übertragen und diese ebenfalls als eine Menge von Punkten ansehen, haben wir eine atomistische Auffassung von Raum und Zeit, die aber aus den in Abschnitt 2 aufgeführten Gründen unzulässig ist. Diese Identifikation des Kontinuums mit ℝ hat ihren Ursprung im Vollständigkeitsaxiom. Das Vollständigkeitsaxiom besagt: Sei ([rn, sn]) eine Intervallschachtelung in ℝ. Dann gibt es genau eine Zahl x, die in allen Intervallen [ri, si] liegt (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 17). Die Intervallschachtelung ist so gemeint: stellen wir uns die Zahlengeraden und zwei Punkte auf ihr vor, die Intervallgrenzen rn und sn. Dann rücken wir von diesen Intervallgrenzen jeweils immer weiter nach innen vor und erzeugen somit immer weitere Intervalle. Dabei ist i in ri und si als Laufindex gemeint. Nun sagt das Vollständigkeitsaxiom, dass es im Inneren von allen Intervallen genau einen einzigen gemeinsamen Punkt gibt. Diese Annahme entspricht einem diskreten Punkt x, der dort liegt. Diesen diskreten Punkt gibt es aber auch in der Mathematik streng genommen nicht. Denn dieser Punkt ist eine irrationale Zahl, wie z.B. √2. Jede irrationale Zahl ist aber ein unendlicher Prozess, der nur wie ein existenter Punkt gehandhabt wird (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 17-20). Diesen Prozess wie einen Punkt zu behandeln, ist eine Konvention.

Durch diese geschilderten Probleme, die durch die Gleichsetzung des Kontinuums mit den reellen Zahlen auftreten, wird die Tiefe des Kontinuums erst sichtbar. Denn die oben beschriebene Inkommensurabilität kann als charakteristisch für die gesamte Geschichte der Mathematik gesehen werden. Das Kontinuum wird weder durch die reellen Zahlen, noch durch die Infinitesimalen vollständig erfasst. Denn es gibt auch höhere Differentiale (die bei Leibniz auftreten), die gegenüber den Infinitesimalien infinitesimal sein sollen (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 175). Außerdem lässt das homogene Kontinuum Raum für die hyperreellen Zahlen, auch Omega-Zahlen genannt, die die reellen Zahlen im infinitesimalen und infiniten (unendlich großen) Bereich um weitere Zahlen erweitern und Gegenstand der Nichtstandardanalysis sind (Laugwitz, 1986, S. 223). Wir sehen hier mathematisch, dass das homogene Kontinuum einer unerschöpflichen „kontinuierlichen Raumsoße“ entspricht, wie Brouwer beschreibt (Brouwer, zitiert nach: Becker, 1954, S. 346) oder wie Weyl, einem „Medium freien Werdens“ (Weyl, 1965, S. 49). Die Diskrepanz, die zwischen der mathematischen Beschreibung des Kontinuums und dem Kontinuum selbst bleibt, zeigt, „dass mathematisch nur Aspekte des Kontinuums beschrieben werden können“ (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 174). Wie auch oben schon gezeigt, bleibt das homogene Kontinuum der Raumzeit für die mathematischen Operationen notwendig, denn das Kontinuum bleibt der Grund auf dem die mathematischen Grenzprozesse ablaufen. Ohne ihn wären diese Grenzprozesse nicht möglich (Bedürftig & Murawski, 2010, S. 168 f.). Diese existentielle Notwendigkeit wird auch deutlich aus Cantors Bereichsprinzip. Es besagt, dass wir, bevor wir eine veränderliche mathematische Größe betrachten und verwenden können, zunächst das Gebiet kennen und definiert haben müssen, auf dem sich diese Größe verändert. Und dieses Gebiet darf selbst nicht veränderlich sein, da es sonst keine bestimmbare Grundlage für die Betrachtung der veränderlichen Größe bieten würde. Dieses Gebiet muss also eine aktual unendliche Wertmenge sein. (Cantor, 1932, S. 410 f.) Damit schloss er das potentiell Unendliche als Grundlage aus der Mathematik aus. Nun muss mit dem Bereichsprinzip ein unendliches Gebiet zur Betrachtung einer variablen Größe definiert sein. Aber auch dieses aktual unendliche Gebiet benötigt eine Grundlage, von der es sich zur Bestimmung abgrenzt. Deshalb wird das (homogene) Kontinuum nie erschöpft. Es gibt unendlich viele aktuale Unendlichkeiten (das Transfinite), die sich aus ihm hervorstrukturieren lassen und so immer neue Gebiete von unterschiedlicher Mächtigkeit bilden. So wie auch die reellen Zahlen durch Infinitesimalien und hyperreelle Zahlen erweitert werden können. Das heißt, der Bereich, auf dem die veränderliche Größe betrachtet wird, ist durch eine Definition bekannt und nicht der Bereich selbst abschließend definiert. Analog auf das Sein bezogen, können wir diesen Bereich auch als den Seinsbereich bezeichnen, in dem ein Seiendes vorkommt. Dieser Seinsbereich ist auch nicht abschließend definiert, wie müssen nur zu einem gewissen Grad, durch gemeinsame Eigenschaften, abgrenzend zu anderen, bestimmen, in welchem Bereich wir uns bewegen.

Wenn wir jetzt, mit diesem Wissen über die unendlich vielen Stufen unterschiedlicher Unendlichkeiten innerhalb der Mathematik und über die Diskrepanz zwischen dem homogenen, raumzeitlichen Kontinuum und dem mathematischen Kontinuum, nach der Mächtigkeit des raumzeitlichen Kontinuums fragen, kommen wir zu dem Schluss, dass es absolutunendlich ist, da es die Grundlage für jede unendliche Strukturierung ist und so auch alle Seinsbereiche schon beinhaltet.

4. Die absolute Unendlichkeit des Kontinuums als Fundamentalontologie

Dem entsprechend beschreibt auch Heidegger das Sein als den Zeit-Raum: „Der Zeit-Raum ist […] das Erzittern der Schwingung des Seyns selbst!“ (Heidegger, 1989, S. 372) und die Möglichkeiten des Seins als „unermeßlich“ (Heidegger, 1989, S. 411; Lanzi, 2013, S. 106). Er nennt diese Unermeßlichkeit „den letzten Gott“ (Heidegger, 1989, S. 409 ff.), der vor allen möglichen Göttern kommt. „Gott“ oder „die Götter“ sind jene der „Theismen“, er schreibt dazu: „Der letzte Gott hat seine einzigste Einzigkeit und steht außerhalb jener verrechnenden Bestimmung, was die Titel »Mono-theismus«, »Pan-theismus« und »A-theismus« meinen. »Monotheismus« und alle Arten des »Theismus« gibt es erst seit der jüdisch-christlichen »Apologetik«, die die »Metaphysik« zur denkerischen Voraussetzung hat. Mit dem Tod dieses Gottes fallen alle Theismen dahin.“ (Heidegger, 1989, S. 411) Zur Unendlichkeit schreibt er: „Die Vielheit der Götter ist keiner Zahl unterstellt, sondern dem inneren Reichtum der Gründe und Abgründe in der Augenblicksstätte des Aufleuchtens und der Verbergung des Winkes des letzten Gottes.“ (Heidegger, 1989, S. 411) Da diese Vielheit keiner Zahl unterstellt ist, d.h. sowohl keinem abgeschlossen sein, als auch keiner Ordnung durch Abzählung, und „alles Wissen von ihm [dem letzten Gott] unmöglich“ (Heidegger, 1989, S. 407) ist, beschreibt diese Unendlichkeit jene, die als Grundlage außerhalb jeder strukturierten Unendlichkeit steht, nämlich die der absoluten Unendlichkeit. Der letzte Gott ist die Wesung des Seins, welches als Grundlage alle Möglichkeiten zur Entfaltung, geschichtlichen Verläufe, d.h. alle Möglichkeiten zur Formung der Raumzeit und damit des Seienden, bereithält. Lanzi schreibt dazu:

„Die Verweigerung und deshalb der letzte Gott stellen also weitere Möglichkeiten der Entfaltung der Wesung des Seins und somit weitere Möglichkeiten der Geschichte des Seins dar. Weil aber jedes Erscheinen des Seins ein sich verweigerndes Sein einbezieht, verweist jedes Erscheinen des Seins immer wieder auf weitere Möglichkeiten der Geschichte des Seins. Demzufolge erweisen sich diese Möglichkeiten als „unermeßlich“.“ (Lanzi, 2013, S. 106)

Deshalb können wir das Sein als das Raumzeit-Kontinuum und damit als fundamentalontologische Grundlage identifizieren. In Sein und Zeit gründete er seine Fundamentalontologie noch auf die existenziale Analytik des Daseins, welche die Existenz, das menschliche Dasein, hinsichtlich seiner Wesensmerkmale betrifft (Heidegger, 1967, S. 12 f.), und den Vorrang des Daseins vor allem anderen Seienden (Heidegger, 1967, S. 13). Diesen Vorrang gründete er auf drei Kernaspekte: (1) einen ontischen, der durch die Existenz charakterisiert ist, d.h., dieses Seiende, der Mensch, ist in seinem Verhältnis zum Sein bestimmt (existenzial); (2) einen ontologischen, der durch das Verstehen gekennzeichnet ist, dass jedem nichtdaseinsmäßigen Seienden Sein zukommt (existentiell); (3) einen ontisch-ontologischen, der sich dadurch auszeichnet, dass die ersten beiden die Voraussetzung für jede weitere Ontologie bilden. (Heidegger, 1967, S. 12 f.) In den Beiträgen zur Philosophie (vom Ereignis) (Heidegger, 1989) wendet er sich aber mit „der Kehre“ von dieser Systematik ab, da die Gründung der Fundamentalontologie auf das Dasein vor das Problem des Subjekt-Objekt-Schemas stößt, welches in der Zentrierung der Philosophie und der Ontologie auf das Subjekt und das subjektiv vorstellende Denken besteht (Heidegger, 2000, S. 72 f.). Denn das Subjekt oder das subjektive Vorstellen kann nicht an erster Stelle stehen und alles weitere begründen, da das Subjekt selbst ein erstes Objekt des Vorstellens ist: „Das Subjekt ist in der Ordnung der transzendentalen Genesis des Gegenstandes das erste Objekt des ontologischen Vorstellens“ (Heidegger, 2000, S. 72). In dieser Hinsicht kritisiert er auch Kant, indem er schreibt:

„Dagegen geht die Deutung der »Erkenntnistheorie« als der Erklärung des »Erkennens« und als »Theorie« der Wissenschaften irre, obzwar dieses Sicherungsgeschäft nur eine Folge der Umdeutung des Seins in die Gegenständigkeit und Vorgestelltheit ist. »Erkenntnistheorie« ist der Titel für das zunehmende wesenhafte Unvermögen der neuzeitlichen Metaphysik, ihr eigenes Wesen und dessen Grund zu wissen. Die Rede von der »Metaphysik der Erkenntnis« bleibt im selben Mißverstand. In Wahrheit handelt es sich um die Metaphysik des Gegenstandes, d.h. des Seienden als des Gegenstandes, des Objekts für ein Subjekt.“ (Heidegger, 2000, S. 73)

Das Objektive tritt vor das Subjekt. Die Kehre ist nun die Überwindung dieses Subjekt-Objekt-Schemas, denn sie bedeutet soviel wie Wiederkehr oder Zirkel (Heidegger, 1989, S. 407) und „kennzeichnet das Ereignis als solches“ (Lanzi, 2013, S. 108), also sein „innerstes Geschehen“ (Heidegger, 1989, S. 407). Wobei das Ereignis das Sein selbst (Heidegger, 1989, S. 470), bzw. der Anfall des Seins ist:

„Nur der Anfall des Seyns als Ereignung des Da bringt das Da-sein zu ihm selbst und so zum Vollzug (Bergung) der inständlich gegründeten Wahrheit in das Seiende, das in der gelichteten Verbergung des Da seine Stätte findet. […] Wenn durch das Ereignis das Da-sein als offene Mitte der Wahrheit gründenden Selbstheit erst sich zugeworfen und zum Selbst wird, muß das Dasein wiederum als verborgene Möglichkeit der gründenden Wesung des Seyns dem Ereignis zugehören.“ (Heidegger, 1989, S. 407)

So wird das Dasein auf das Sein und dessen Wesen zurückgeführt, da es notwendig seiner bedarf. Denn der Anfall des Seins, der Vollzug seines Entwurfs, hängt nicht vom Dasein ab, sondern von der Entfaltung der Wesung des Seins und somit auch vom sich verbergenden Teil des Seins (Lanzi, 2013, S. 108). Das Dasein wiederum ist nur Teil dieser Entfaltung und hängt ebenfalls von ihr ab, wobei nun aber die Kehre, der Zirkel, darin besteht, dass das Ereignis das Dasein braucht, da es dieses in den Zuruf stellt: „Die Kehre west zwischen dem Zuruf (dem zugehörigen) und der Zugehör (des Angerufenen). […] Der Anruf auf den Zu-sprung in die Ereignung ist die große Stille des verborgensten Sichkennens.“ (Heidegger, 1989, S. 407 f.) Das bedeutet, dass die bestimmte Existenz (des Menschen und jedes Seienden) von der bestimmten Zugehörigkeit zum Hintergrund abhängt, von dem ‚verborgensten Sichkennen‘ des direkten Zugehörigen. Denn ein spezifisch Seiendes wird erst zu diesem durch die direkte Verbindung und Abgrenzung zum Umgebenden. Dennoch liegt als Notwendigkeit das Wesen des Seins, d.h. die oben identifizierte absolute Unendlichkeit, jeder Existenz zu Grunde. „Das Ereignis »ist« so die höchste Herrschaft als Widerkehre über Zukehr und Flucht der gewesenen Götter. Der äußerste Gott bedarf des Seyns.“ (Heidegger, 1989, S. 408)

Aus der Überwindung des Subjekt-Objekt-Schemas ergibt sich dann als Aktualisierung der Fundamentalontologie ein Wegfall des Vorrangs des Daseins innerhalb der Seinsfrage und daraus folgend nur ein Vorrang der Seinsfrage allgemein, denn „[d]as »Sein« wird zwar in aller bisherigen Ontologie »vorausgesetzt«, aber nicht als verfügbarer Begriff –, nicht als das, als welches es Gesuchtes ist.“ (Heidegger, 1967, S. 8) Das heißt, das Sein muss in den Mittelpunkt des Untersuchens treten, unabhängig von Subjekt und Dasein. Aber, wenn das Sein vor das Subjekt und das Dasein tritt, dann ist es nicht wie das Subjekt als erstes Objekt des ontologischen Vorstellens selbst ein Objekt, sondern nur objektiv, also unabhängig vom Subjekt, in der Betrachtung. Denn sonst wäre das Sein wieder, wie in jeder metaphysischen Fassung, ein zu beispielsweise Geist oder Materie zusammengefasstes Seiendes wie im Idealismus oder Materialismus (Heidegger, 2000, S. 71-74). Das Sein wird als Gesuchtes betrachtet, indem der Sinn von Sein und seine notwendige Beschaffenheit als Bedingung für Existenz untersucht wird. Denn, dieser Vorrang der Seinsfrage ist (1) ein ontischer, der nicht nur das Dasein und das Verhältnis des Menschen zu seinem Sein charakterisiert, sondern das Verhältnis jedes Seienden zu seinem Sein oder Hintergrund, also den Sinn zwischen jedem Seienden und seinem Sein (Heidegger, 1967, S. 11); und (2) ein ontologischer, der aus der Voraussetzung für jede Existenz besteht (Heidegger, 1967, S. 8-11). Die grundlegende Beschaffenheit und Mächtigkeit des Seins, als Mittelpunkt des Untersuchens, haben wir in den obigen Ausführungen als die absolute Unendlichkeit des Raumzeit-Kontinuums charakterisiert. Das bedeutet, dass das ontische Charakteristikum den immer währenden Bezug jedes Seienden zu diesem Raumzeit-Kontinuum als Kontur zwischen innerer und äußerer absoluter Unendlichkeit darstellt. Das ontologische Charakteristikum, also die Voraussetzung oder Bedingung jeder Existenz, stellt sich dar als eben diese absolute Unendlichkeit, die wir oben als Mächtigkeit des Raumzeit-Kontinuums ausgemacht haben. Diese beiden Charakteristika, die absolute Unendlichkeit des Raumzeit-Kontinuums und der Bezug jedes Seienden zu ihm, machen die grundlegende Fundamentalontologie aus. Diese absolute Unendlichkeit des Raumzeit-Kontinuums ist die primäre Orientierung jedes Subjekts in der Erkenntnis, denn die extensio des Seienden und des Seins bildet „die Grundbestimmtheit der »Welt«“ (Heidegger, 1967, S. 101). Das Raumzeit-Kontinuum und seine notwendige Beschaffenheit ist die Bedingung jeder Erkenntnis und damit vor ihr liegend, und nicht wie „[…] bei Kant einfach dem menschlichen Subjekt zugesprochen! Doch all dieses ohne Ahnung des Zeit-Raums“ (Heidegger, 1989, S. 373). Es ist nicht Teil und damit abhängig von der subjektiven Anschauung selbst, sondern Bedingung dieser. Durch den Wegfall des Subjekts als Primärem, fällt auch Kants Charakterisierung von Raum und Zeit als ‚Anschauungen‘ weg: „Wenn Kant Raum und Zeit als »Anschauungen« kennzeichnet, dann ist das innerhalb dieser Geschichte nur ein schwacher Versuch, überhaupt das Eigenwesen von Raum und Zeit zu retten. Aber Kant hat keinen Weg zum Wesen von Raum und Zeit. Die Ausrichtung auf »Ich« und »Bewußtsein« und das Vor-stellen verlegt ohnehin jeden Weg und Steg.“ (Heidegger, 1989, S. 70 f.) Zudem muss, wie oben dargelegt, das Wesen des Raumzeit-Kontinuums als die Wesung des Seins in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt werden, denn die Fixierung auf das Subjekt als Grundlage der Erkenntnistheorie bildet, wie oben gesagt, „das zunehmende wesenhafte Unvermögen der neuzeitlichen Metaphysik, ihr eigenes Wesen und dessen Grund zu wissen“ (Heidegger, 2000, S. 73). Erkenntnis richtet sich somit nicht an einer subjektiven Raumzeit aus, sondern am allgemeinsten Wesen und an der allgemeinsten Voraussetzung und damit an der Wesung des Seins, dem absolut unendlichen Raumzeit-Kontinuum (Heidegger, 1989, S. 71). Heidegger schreibt:

„[…] gerade die ontologische Aufgabe einer nicht deduktiv konstruierenden Genealogie der verschiedenen möglichen Weisen von Sein bedarf einer Vorverständigung über das, »was wir denn eigentlich mit diesem Ausdruck ›Sein‹ meinen«. Die Seinsfrage zielt daher auf eine apriorische Bedingung der Möglichkeit nicht nur der Wissenschaften, die Seiendes als so und so Seiendes durchforschen und sich dabei je schon in einem Seinsverständnis bewegen, sondern auf die Bedingung der Möglichkeit der vor den ontischen Wissenschaften liegenden und sie fundierenden Ontologien selbst. Alle Ontologie, mag sie über ein noch so reiches und festverklammertes Kategoriensystem verfügen, bleibt im Grunde blind und eine Verkehrung ihrer eigensten Absicht, wenn sie nicht zuvor den Sinn von Sein zureichend geklärt und diese Klärung als ihre Fundamentalaufgabe begriffen hat.“ (Heidegger, 1967, S. 11)

Dieser Sinn von Sein, das heißt der Bezug jedes Seiendes zum Sein und die Mächtigkeit des Seins, die absolute Unendlichkeit der Wesung des Seins als Fundamentalontologie ist dabei die notwendige Bedingung jeder Existenz und Anschauung, weil nur auf diese Weise das Sein selbst kein Seiendes ist (Heidegger, 1989, S. 411).

Referenzen


[1] Vgl. (Hegel, 1949, § 257, S. 258)

[2] Für ihn gab es nur die potentielle Unendlichkeit und er band die unendliche Teilung des Kontinuums an die Teilungsakte der Anschauung (Tengelyi, 2014, S. 496 f.) – die natürlich in der Fortführung im Geiste nur potentiell sein können – aber nicht an die tatsächliche unendliche Teilbarkeit des gegebenen Kontinuums. Das heißt, er schloss von der Anschauung auf eine ontologisch vorhandene potentielle Unendlichkeit, die aber, wie wir unter der Argumentation im zweiten Abschnitt, in beiden Beweisargumenten, schon gesehen haben, aus existentiellen Gründen nicht gegeben sein kann, da dem potentiell Unendlichen in jedem Moment raumzeitliche Grenzen gegeben wären, bei denen verlangt würde, dass das sie Begrenzende nicht vorhanden wäre.

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